Mit 15 Jahren begann Takeo Ischi, der damals noch Takeo Ishii hieß, in Japan mit dem Jodeln. Aus dem Hobby wurde ein Beruf, der ihn zunächst in der deutschsprachigen Volksmusikwelt und zuletzt auch international bekannt gemacht hat. Selbst in der Rente jodelt der Japaner noch immer weiter und ist auch auf YouTube inzwischen ein Star: sein Song „Chicken Attack“ hat auf der Plattform mittlerweile 25 Millionen Aufrufe. Auf seinem Weg von Japan nach Europa musste der Sohn eines japanischen Maschinenbauunternehmers einige Hürden überwinden. J-BIG hat mit Takeo Ischi darüber gesprochen, wie sich in Deutschland die Chance für eine unübliche Karriere ergab und er um seine Arbeitserlaubnis als Profijodler bangte, wie sich seine wirtschaftliche Situation über die Jahre entwickelte und wie es zum späten Durchbruch bei der jungen Generation auf YouTube kam.
J-BIG: Sie sind als „der japanische Jodler“ vor vielen Jahrzehnten in Deutschland bekannt geworden. Das ist nicht gerade ein klassischer Beruf. Vor allem nicht, wenn man aus Japan kommt! Wie kam es dazu?
Takeo Ischi: Ursprünglich wollte ich Maschinenbau studieren, um den Familienbetrieb in Japan zu übernehmen. Mein Vater war Ingenieur und hatte eine eigene Firma, die Maschinen zum Trocknen von Nudeln hergestellt hat. Ich habe schon in jungen Jahren in der Firma ausgeholfen. Doch dann habe ich das Jodeln für mich entdeckt und bin diesem Hobby in Japan nachgegangen.
Als Kind hatte ich bereits im Radio Jodler gehört, aber nicht richtig gewusst, was das genau war. Ich dachte, es gäbe nur zwei Arten: Das Jodeln aus den europäischen Alpen und das Jodeln der Cowboys in der Country Music. Der bekannteste Jodel-Sänger in Japan war damals der amerikanisch-japanische Country-Sänger Willy Okiyama. Durch die Mitarbeiter meines Vaters habe ich zufällig eine Schallplatte von ihm bekommen. Sein Jodel-Gesang hat mir auf Anhieb richtig gut gefallen. Für die Abschlussreise meiner Mittelschule nach Kyoto und Nara hatte ein Klassenkamerad ein kleines Liederbuch zusammengestellt. In diesem war auch das Lied Yama no ninki mono – das war das bekannteste Jodel-Lied in Japan. Der Jodel-Teil des Liedes war ursprünglich nicht so besonders, aber Willy Okiyama hat dieses Lied richtig toll gejodelt. Das hat mich fasziniert und mein Interesse für das Jodeln geweckt.
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Darum bin ich in der Oberstufe zunächst dem Schulchor beigetreten. Ich mochte Musik und hatte schon seit meiner Kindheit Interesse an verschiedenen Instrumenten gehabt. Aber singen konnte ich nie gut. Ich habe immer schief gesungen und wollte darum besser werden. Ein Klassenkamerad hat zum Spaß ein bisschen gejodelt und da dachte ich: „Ah, wir Japaner können auch jodeln!“ Von da an habe ich ernsthaft versucht, jodeln zu lernen. Ich habe ein Tonband von Willy Okayama aufgenommen und versucht, sein Jodeln nachzumachen. Zuerst hatte ich damit große Schwierigkeiten: Wochenlang habe ich wie ein Hund gejault. Dann kam ich auf die Idee, das Tonband langsam laufen zu lassen. So konnte ich genau studieren, wo Brust- und Kopfstimme beginnen. Denn der Wechsel zwischen Brust- und Kopfstimme ist die zentrale Technik des Jodelns. Mit der Zeit habe ich gespürt, wie sich mein Jodeln verbessert hat. Durch das viele Üben war es mir gelungen, den Kehlkopfschlag zu lernen. Ich habe mich riesig gefreut und dieser erste Erfolg hat mich motiviert, weiterzumachen.
Später habe ich eine Schallplatte des bayerischen Jodlers Franzl Lang bekommen. Das war so schön! Von diesem Tag an gab es für mich kein Halten mehr. Ich habe Jodel-Sendungen im Radio aufgenommen und weitere Schallplatten gesammelt. Diese habe ich dann jeden Tag mehrere Stunden zum Lernen und im Bett zum Schlafen gehört. Der Klang von schönen Bergen und frischer Luft hat mich davon träumen lassen, tatsächlich eines Tages in den europäischen Alpen zu sein. Das war der Anfang meiner Begeisterung für das Jodeln.
J-BIG: Das war sicherlich ein ungewöhnliches Hobby in Japan, oder?
Takeo Ischi: Ja, das stimmt. Bei mir stand am Anfang das Interesse an der Musik, und da Singen ja leider nie meine Stärke war, war die Freude riesengroß, als ich ein bisschen jodeln konnte. Ich bin meinem Hobby jedoch nicht sofort auch professionell nachgegangen. Mit 18 Jahren habe ich ein Maschinenbau-Studium an der Tōkai-Universität in Tokyo angefangen. Ich bin dem Wander-Club der Universität beigetreten, da ich dachte, das Spazierengehen in den Bergen passe gut zum Jodeln. Ich habe die Zeit neben dem Studium oft dafür genutzt, um in Tokyo nach Schallpatten zu suchen. Bei meinen Einkäufen habe ich zufällig ein Buch mit dem Titel „Jodeln für Anfänger“ entdeckt. Beim Kauf des Buchs hat sich herausgestellt, dass der Besitzer des Geschäfts Ehrenmitglied im Jodel-Club in Tokyo war. Der Club hatte einen deutschen Namen: „Alpen-Jodler Kameraden“. Es gab monatlich ein Treffen, bei dem gejodelt und Deutsch gelernt wurde. Ich bin sofort Mitglied geworden. Wir waren damals schon 60 Mitglieder und viele konnten relativ gut jodeln. Ich war sehr schüchtern und wenn ich vor allen gejodelt habe, ist mir das Gesicht rot angelaufen. Mit der Zeit habe ich mich aber an die Situation gewöhnt.
Eines Tages kam eine deutsche Austauschstudentin aus Augsburg zum Jodel-Club. Es entstand eine Freundschaft und sie hat mir einmal pro Woche Deutsch beigebracht. Durch den kulturellen Austausch habe ich immer größere Lust bekommen, nach Europa, besonders in das Alpenland, zu reisen. Aber ich war mir bewusst, dass ein Aufenthalt im Ausland mit hohen Kosten verbunden war. Dann hat die deutsche Studentin mir angeboten: „Wenn du nach Deutschland reisen willst, kannst du in meinem Elternhaus wohnen.“ Ich habe sofort zugesagt. Mein Flug ging am 7. Oktober 1973 von Haneda über Moskau nach Paris. Von Paris bin ich weiter nach Augsburg gereist. Das war sehr abenteuerlich, denn ich konnte damals nur ein kleines bisschen Deutsch und Englisch. Bei der Familie angekommen, habe ich erfahren, dass es kein freies Zimmer für mich gab. Ich dachte, „Das darf nicht wahr sein!“ Aber die Studentin, die ich in Japan kennengelernt hatte, hat mir geholfen, ein freies Zimmer in einer Studentenwohnung, die der Familie einer Klassenkameradin gehörte, zu bekommen. Es war ein relativ großes Zimmer, ausgestattet mit einer Dusche. Essen konnte ich mit der Familie der Klassenkameradin. Ich war besorgt, wie ich Miete bezahlen sollte. Aber die Familie meinte, wenn ich ihnen beim Auftreiben von japanischen Briefmarken für die Sammlung und der Gartenarbeit helfe, dann müsse ich nichts bezahlen. Ich durfte auch mit der Familie Weihnachten feiern. Es gab viele Geschenke und ich habe meine erste richtige bayerische Lederhose bekommen.
Damals war ich unsicher, wie gut mein Jodeln war. Jedoch merkte ich schnell, dass ich anderen damit eine Freude machen konnte. Deswegen habe ich immer gerne gesungen und gejodelt. Zum Geburtstag hatte ich die Gelegenheit, den bayerischen Jodelkönig Franzl Lang persönlich kennenzulernen. Ich hatte großes Interesse, von ihm die Jodel-Technik zu lernen. Ich habe dann das Akkordeon genommen und gejodelt. Die Presse war auch anwesend und am nächsten Tag gab es einen Bericht: „Ein jodelnder Japaner sucht fesche Bayerin“. So wurde ich ein bisschen bekannt. Über einen Bekannten, der in einer Musikgruppe aktiv war, hatte ich die Gelegenheit, beim Fasching auf der Bühne zu stehen und zu jodeln. Das hat dem Publikum so gut gefallen, dass er mir gesagt hat, „Du kannst ab morgen bei uns mitmachen. Du bekommst Essen und Taschengeld.“ So stand ich dann täglich in Lederhose mit meinem Schnupftabak-Tuch in der Hosentasche auf der Bühne und hab gejodelt. Das war der Start meiner Jodel-Karriere.
J-BIG: Sie wollten Europa ja eigentlich nur besuchen?
Takeo Ischi: Ich habe damals nach einer Möglichkeit gesucht, etwas länger in Deutschland bleiben zu können. Eigentlich wollte ich hier mein Maschinenbau-Studium fortführen und arbeiten, aber ich konnte keine Genehmigung zum Arbeiten oder Studieren bekommen. Ich habe dann als Sprachstudent eine Aufenthaltsgenehmigung für sechs Monate bekommen. In dieser Zeit habe ich einen Sprachkurs an der Volkshochschule besucht und auch Tanzunterricht genommen. Nach den sechs Monaten musste ich ausreisen. Auf der Rückreise habe ich einen Freund in Zürich besucht, den ich in Japan im Jodel-Club kennengelernt hatte. Zu meinem großen Glück fand zu dieser Zeit in Zürich ein großes Fest statt – „Europa in Zürich“ hieß es. Dort gab es große Festzelte, in denen Kapellen gespielt haben. Mein Freund meinte, „Takeo, du kannst doch jodeln. Geh doch auf die Bühne!“ Dort habe ich dann gejodelt und abends bin ich in einem Lokal aufgetreten – und das Publikum war so begeistert, dass der Chef des Restaurants mir angeboten hat, ich könne für ein Zimmer, Essen und Taschengeld täglich dort jodeln. So konnte ich dann einige Wochen bleiben und Reisekosten sparen. Mein Maschinenbau-Studium hatte ich ganz vergessen. Ich dachte mir, „mit dem Jodeln kann ich ein bisschen Geld verdienen; also mache ich damit weiter, solange es geht“. Mit der Zeit wurden die Medien auf mich aufmerksam und ich hatte Interviews mit dem Radio und Zeitungen. Zwei Monate später bekam ich ein Angebot für einen Fernsehauftritt. Samstagabends zur Primetime bin ich dann für ganze 13 Minuten im Schweizer Fernsehen live aufgetreten. Der Auftritt war ein großer Erfolg. Einige Tage später kam der Anruf von einer Schallplattenfirma, die mit mir einen Vertrag abschließen wollte.
J-BIG: Wann war das?
Takeo Ischi: Das war 1974. Ich war 27 Jahre alt. Eine Freundin, die ich in Zürich beim Mittagessen kennengelernt habe, hat mir geholfen, Schweizerdeutsch zu lernen und den Vertrag mit der Schallplattenfirma Helvetia abzuschließen. So konnte ich dann meine ersten zwei Single-Platten herausbringen.
J-BIG: Wie erfolgreich waren die Platten?
Takeo Ischi: Das ist schwer einzuschätzen. Nach meinen Auftritten wurden die Platten angeboten und haben sich gut verkauft. Aber von den Geschäften habe ich nie erfahren, wie viel Stück verkauft wurden. Trotzdem hat es mich sehr gefreut, in den Läden meine Platte zu sehen.
Für eine weitere Aufenthaltsgenehmigung habe ich für ein Jahr eine Dolmetscherschule besucht. Währenddessen hatte ich viele Auftritte – aber keinen festen Vertrag, da ich ja keine Arbeitserlaubnis hatte. Das heißt, ich habe für meine Auftritte ein Taschengeld oder Fahrtkosten bekommen. Ich war besorgt, wie es nach dem Jahr für mich in der Schweiz weitergehen sollte. Mir war unklar, wie man als Jodler eine feste Anstellung bekommen konnte. Der Chef des Restaurants, der mich entdeckt hatte, hat mir dann geholfen, eine offizielle Arbeitsgenehmigung der Schweiz zu bekommen – ich musste damals nicht mal eine Prüfung ablegen. Dadurch konnte ich dann ab Mai 1975 offiziell arbeiten und auch Arbeitsverträge abschließen. Ab dem Zeitpunkt, zu dem ich einen offiziellen Arbeitsvertrag hatte, war ich also Profi-Jodler.
J-BIG: Was hat man Mitte der 1970er Jahr als Jodler für Gagen bekommen?
Takeo Ischi: In meinen Anfängen als ich noch bei der Fastnacht zum Spaß auf der Bühne gejodelt habe – das waren damals drei Lieder, insgesamt 10 Minuten – habe ich 50 Mark Taschengeld und zusätzlich freies Essen bekommen. Damit konnte ich meine Reisekosten decken und dadurch, dass ich über zwei Wochen jeden Tag aufgetreten bin, auch ein wenig ansparen. Auch in Zürich habe ich anfangs pro Auftrag 50 Franken bekommen, plus Zimmer und Essen. Als ich dann offiziell arbeiten durfte, hat die Gage anfangs 200 Franken betragen. Der Betrag ist stetig angestiegen und Jahre später habe ich 800 Franken bekommen. Als ich dann mit einer Musikagentur einen Vertrag abgeschlossen habe, gab es pro Auftritt eine Gage von 1000 Franken. Im Monat hatte ich im Durchschnitt vielleicht zwei, drei Auftritte. Es gab Monate, in denen ich öfter gebucht wurde, aber auch Durststrecken ohne Auftritte. So habe ich sechs Jahre lang in der Schweiz gelebt.
J-BIG: Was haben Ihre Eltern zuhause in Japan zu Ihrer Profi-Jodler-Karriere gesagt?
Takeo Ischi: Meine Eltern, besonders mein Vater, waren sehr skeptisch. Um sie zu beruhigen und glauben zu lassen, ich würde weiterhin meinem Studium nachgehen, habe ich ihnen anfangs Kataloge von Maschinen und Werkzeug geschickt. Außerdem habe ich Zeitungsartikel zu meinen Auftritten beigefügt. Dadurch haben meine Eltern gemerkt, dass ich mit dem Jodeln Erfolg hatte. Mit der Zeit haben sie erkannt, dass meine Jodel-Karriere etwas Außergewöhnliches war. Ich war sehr froh, dass meine Eltern beide schließlich meinen Beruf als Jodler akzeptiert haben.
Damals hatte ich eine schweizerische Freundin und um sie meiner Familie vorzustellen, sind wir nach Japan geflogen. Meine Familie war beruhigt zu wissen, dass ich ein gutes Leben mit Arbeit und Freunden in der Schweiz hatte. Für mich war die Schweiz das schönste Land der Welt – warum sollte ich nicht weitermachen? Das Maschinenbau-Studium habe ich einfach vergessen.
J-BIG: Das heißt die Schicksalsjahre, in denen sich Ihre Karriere entschieden hat, waren 1973, 1974?
Takeo Ischi: Die damaligen Jahre und der Entschluss, meinen Beruf zu wechseln, haben sich in der Zeit gar nicht so dramatisch angefühlt. Im Hinterkopf war jedoch immer der Gedanke, „Wie lange kann ich noch so leben? Irgendwann wird sicherlich Schluss sein und dann muss ich mir einen anderen Job suchen.” So habe ich mich auch noch Ende der 1970er Jahre gefühlt. Trotzdem ist meine Gage immer weiter gestiegen – bis zu 1800 Franken für einen Auftritt. 1978 habe ich meine erste Langspielplatte und Kassette „Der jodelnde Japaner“ mit der Firma Eugster produziert. 1979 hatte ich Gelegenheit, für zwei Wochen in Japan aufzutreten. Eine japanische Firma mit Niederlassung in der Schweiz wollte in Japan mit einer Schweizer Volksmusik-Gruppe eine Tournee durchführen. Ich wurde für Gesang und Jodeln engagiert. Diese Japan-Tournee war ein großer Erfolg. Dadurch, dass ich mit echten Schweizern aufgetreten bin, hat das japanische Publikum mein Jodeln als authentisch wahrgenommen. So wurde ich auch in Japan bekannt. Meine Schallplatte und Kassette haben sich in Japan sehr gut verkauft.
Über eine Bekannte, die Reiseleiterin war, ist dann meine Schallplatte in die Hände von Maria Hellwig gekommen. Sie war damals Moderatorin für drei Sendungen beim ZDF und 1980 wurde ich in ihre Sendung „Früh übt sich“ eingeladen. Später habe ich einen Anruf bekommen, dass die Sendung ein großer Erfolg war. Der Kontakt zu Maria Hellwig hat sich gehalten und sie und ihr Mann haben mich auch mehrfach in den Urlaub eingeladen. Sie haben mich gefragt, ob ich noch genügend Arbeit in der Schweiz hätte. Die Schweiz ist ein kleines Land und die Auftrittsmöglichkeiten begrenzt. Ich war fast schon überall aufgetreten. Darum hat dann der Mann von Maria Hellwig für mich eine Arbeitsgenehmigung in Deutschland beantragt. Im Mai 1981 konnte ich ein Visum mit Arbeitsgenehmigung als angestellter Sänger für Deutschland bekommen.
J-BIG: Wo waren Sie angestellt?
Takeo Ischi: Im „Kuhstall“, dem Restaurant der Familie Hellwig. Dort habe ich als festangestellter Jodler gearbeitet. Ich habe einen Monatslohn und drei Mahlzeiten am Tag bekommen. Manchmal habe ich auch beim Ausschank geholfen und konnte so das Personal besser kennenlernen – darunter auch eine nette Köchin, die dann später meine Freundin und Frau wurde. Außerdem hatte ich regelmäßige Auftritte bei Maria Hellwig in der TV-Sendung. Sie hat mich auch zu Auftritten mitgenommen, wie z.B. zu einem Radiosender in Linz in Österreich. Dort habe ich Karl Moik kennengelernt, der mich dann in die Sendung „Musikantenstadl“ geholt hat. Da es damals nur drei Fernsehsender gab, wurde man schnell durch einen Auftritt prominent. 1984 hatte ich meine erste Deutschland-Tournee. Bis 1988 habe ich bei Maria Hellwig als Angestellter gearbeitet und konnte so jedes Jahr an verschiedenen Tourneen teilnehmen. So bin ich bekannt geworden. Als jodelnder Japaner habe ich viel Aufmerksamkeit auf mich gezogen – aber meinen Namen konnte man sich nur schwer merken. Ich habe versucht, die Aussprache meines Namens leichter verständlich zu machen. Darum schreibe ich meinen Namen „Takeo Ischi“ und nicht in der korrekten Transkriptionsform „Takeo Ishii“.
Ich habe dann später meine Anstellung bei Hellwigs beendet, mich selbstständig gemacht und mir ein Büro in Bayreuth genommen. Inzwischen hatte ich eine unbefristete Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung.
J-BIG: In den 1990er Jahren hat sich die Medienlandschaft stark verändert. Das Privatfernsehen revolutionierte die Fernsehlandschaft. Wie ist es in dieser Zeit für Sie weitergegangen?
Takeo Ischi: Das war allgemein ein großes Problem für alle Künstler, die Auftritte im Fernsehen hatten. Dadurch, dass die Privatsender viel mehr Sendungen angeboten haben, wurden mehr Künstler, auch unbekannte, eingeladen und die Gagen sind gesunken. Ich konnte gerade etwas mehr als die Spesen decken. Das war ein herber Rückschlag für uns Künstler. Obwohl sich meine Begeisterung für die privaten Sendern in Grenzen hielt, war es keine Option, Auftritte abzulehnen. Man weiß ja nicht, wann man wieder eingeladen wird, also habe ich alle Aufträge auch zu niedriger Gage angenommen. Auch bei den Öffentlich-Rechtlichen hat man weniger verdient. Zuvor hatte man für manche Auftritte mit nur einem Lied bis zu 2.000 Mark bekommen und plötzlich waren es nur noch Spesen – bei einem längeren Auftritt vielleicht 500 Mark. Hinzu kam die Umstellung von DM auf Euro. Alles war plötzlich gefühlt doppelt so teuer, aber bis die Löhne angepasst wurden, hat es lange gedauert. Durch die Finanzkrise 2008 kam erneut eine schwere Phase: Es gab weniger Veranstaltungen mit noch weniger Gage. Glücklicherweise konnte mein Büro in dieser Zeit genug Veranstaltungen für mich finden, sodass ich die Krise ohne größere Rückschläge überstehen konnte.
Eigentlich hätte ich mich mit dem Beginn meiner Rente mit 65 Jahren zurückziehen können. Allerdings war ich zu dieser Zeit unter Vertrag bei der Plattenfirma Rubin Records, die meine CDs produziert haben. Die Nachfrage nach Auftritten war noch immer hoch, weswegen ich weiterhin gerne aufgetreten bin.
J-BIG: Mittlerweile sind Sie im Internet eine Berühmtheit. Auf YouTube werden Ihre Lieder, gerade auch ganz neue Songs, millionenfach abgerufen. Wie kam es dazu?
Takeo Ischi: Das ging zunächst gar nicht von mir aus. Jemand anderes hatte mein Lied „Bibi-Hendl“ auf YouTube hochgeladen. Das Video wurde in kurzer Zeit von überall auf der Welt abgerufen. Dadurch bin ich international ein Geheimtipp geworden. So wurde die Gruppe The Gregory Brothers, die sich auf Comedy-Musik auf YouTube spezialisiert hat, auf mich aufmerksam. Ich hatte schon in meinem Musikvideo „New Bibi-Hendl“ ein Huhn in den Händen. Dieses Motiv haben die Gregory Brothers zum Ausgangspunkt ihres Songs „Chicken Attack“ mit mir gemacht. Im Musikvideo trage ich eine Lederhose und halte ein weißes Huhn auf der Hand, das sich in einen Ninja verwandelt. Die Aufrufzahlen sind rasant gestiegen – erst eine, dann zwei, dann zehn Millionen. Mittlerweile sind es schon 25 Millionen Klicks. Das Video ist auch im ganzen asiatischen Raum beliebt. 2019 wurde ich sogar von einer taiwanesischen Heavy-Metal Band für einen Live-Auftritt engagiert, bei dem der Song in einer Metal-Version gecovered wurde.
J-BIG: Das bedeutet, Sie haben, nachdem Sie in Rente gegangen sind, noch eine internationale Internet-Karriere gemacht?
Takeo-Ischi: YouTube und das Internet bieten eine außergewöhnliche Möglichkeit für Promotion. Wenn man nach Takeo Ischi sucht, findet man viele Bilder und Videos von Veranstaltungen und Auftritten. Dadurch habe ich in den letzten Jahren einen größeren Bekanntheitsgrad bei einem jüngeren Publikum erreicht. Ich habe jedoch immer darauf geachtet, nicht alles aus meinem Privatleben öffentlich zu machen. Darum habe ich beispielsweise auch keinen Facebook-Account. So kann ich zum Glück in Ruhe meinen Ruhestand genießen. Ich bekomme monatlich eine kleine Rente – wenn ich sonst keine Einnahmen hätte, wäre das nicht viel. Aber zum Glück habe ich ein Haus gekauft und meine Kinder sind schon erwachsen und können selbst Geld verdienen. Meine Frau arbeitet noch immer und verdient Geld. Darum kümmere ich mich um Garten und Haushalt. Das ist viel Arbeit: Wäsche waschen, Geschirr spülen, bügeln, das Haus putzen und dann im Garten Äste schneiden und kehren. Das ist eine tägliche Arbeit. Und teilweise habe ich zu Hause auch einige ruhige Stunden, in denen ich meinen Hobbies nachgehe. Oft schaue ich YouTube, bastele oder spiele ein Musikinstrument. Und natürlich mache ich auch Stimmtraining. Jeden Tag gibt es viel zu tun und ich langweile mich überhaupt nicht als Rentner. Ab und an kommt eine Anfrage für einen Auftritt oder ein Interview. Und so habe ich auch weiterhin die Möglichkeit, in viele Länder zu reisen. Jetzt bin ich nicht nur in Deutschland oder Europa bekannt, sondern auf der ganzen Welt – dank YouTube.
Mittlerweile bin ich einer der wenigen noch aktiven Profi-Jodler. Es gibt sicherlich noch einige, die nebenberuflich jodeln, aber nicht mehr hauptberuflich als Profi. Man muss schließlich von seinem Beruf leben, Steuern bezahlen und in die Rentenkasse einzahlen können. Um genügend Geld zu verdienen, braucht man viele Auftritte – aber das ist in unserer heutigen Zeit nur noch schwer möglich. Alle namhaften Profi-Jodler sind verstorben und es gibt keine nachkommende Generation. Das Interesse am Jodeln ist zurückgegangenen und Amateur-Jodeln reicht nicht für eine Karriere aus – das muss schon meisterhaft sein.
J-BIG: Aber Sie treten schon noch auf und geben Konzerte?
Takeo Ischi: Durch Corona gab es zwar weniger Veranstaltungen, aber prinzipiell trete ich noch immer auf. Im letzten Juli bin ich zum Beispiel auf dem Stadtfest in Zweibrücken aufgetreten und habe dort eine Stunde gejodelt.
J-BIG: Und das schaffen Sie noch?
Takeo Ischi: Ich schaffe es noch, aber habe die Häufigkeit meiner Auftritte reduziert. Einmal im Monat auftreten zu können, freut mich.
J-BIG: Deutschland und Japan haben ja durchaus große kulturelle Unterschiede. Sie haben es geschafft, sich hier einzuleben und eine erfolgreiche, sehr „deutsche“ Karriere aufzubauen. Was waren entscheidende Faktoren für Ihren Erfolg im Ausland?
Takeo Ischi: Allgemein sind Japaner zurückhaltende Menschen. In Europa hingegen geht man mit seinen Gefühlen vergleichsweise offen um. Körpersprache spielt hier eine wichtige Rolle und es ist einfacher, frei heraus seine Meinung zu sagen. In Japan sind die Leute oft unsicher, ob das angebracht und die eigene Meinung überhaupt gefragt ist. Diese Zurückhaltung spürt man. Sie behindert die persönliche Entwicklung und eine gesunde Beziehung zum Umfeld. Natürlich ist Freundlichkeit wichtig. Aber es ist auch wichtig, seine Schüchternheit abzulegen und Neues auszuprobieren. Zum Beispiel das Erlernen einer neuen Sprache: Dadurch, dass ich nicht nur Deutsch, sondern auch Dialekte gelernt habe, ergaben sich ganz andere Chancen und Beziehungen für mich. Das trifft auch auf das Jodeln zu. Man soll nicht nur so tun als ob. Ich habe das echte schweizerische Jodeln, echte bayerische Jodeln und echte österreichische Jodeln gelernt – so wird man überall akzeptiert und kommt der lokalen Bevölkerung näher. Anpassungsfähigkeit ist ein bedeutender Faktor. Genauso wichtig ist es aber auch, seine Meinung zu kommunizieren. Zentral sind Freundlichkeit, Toleranz, Verständnis – und offen für neue Blickwinkel zu sein, damit man nicht stehen bleibt und sich als Mensch weiterentwickeln kann.