Seit über 20 Jahren ist Johannes Spatz in Führungspositionen bei Panasonic in Deutschland und Europa unterwegs. Im Interview erzählt er den J-BIG-Autoren Björn Eichstädt und Nina Blagojevic, wie er als Geschäftsführer von Panasonic Industry Europe das Geschäft in Deutschland und Europa aufstellt, wie Panasonic als Gesamtmarke agiert und wie die Corona-Situation die Arbeit zwischen Deutschland und Japan im Unternehmen verändert hat.

J-BIG: Herr Spatz, der Name Panasonic ist sicher allen Lesern ein Begriff, aber nicht jeder kennt Panasonic Industry Europe. Wie hängt Ihr Unternehmen mit dem Mutterkonzern in Japan zusammen?
Johannes Spatz: Man kennt Panasonic hierzulande vor allem für unsere audio-visuellen Systeme im Consumer-Umfeld – Fernseher, Kameras und so weiter. Das ist nach wie vor ein zentraler Bereich, gerade auch was das Branding angeht. Generell gibt es daneben aber vier Geschäftsfelder – wir sagen intern „Companies“ – die weniger universell bekannt sind: „Life Solutions“, „Automotive“, „Business“ und „Industrial Solutions“.
Panasonic Industry Europe ist den Industrial Solutions zugeordnet. Unser Produkt-Portfolio ist sehr breit aufgestellt und reicht von elektronischen Kleinkomponenten wie Widerständen oder Kondensatoren bis zu Modulen und Teillösungen. Insbesondere in der Fabrikautomatisierung produziert Panasonic Industry eher Teilsysteme, also Steuerungen, Lasermarkiersysteme, oder Motoren für industrielle Anwendungen in der Fabrik.
Life Solutions deckt von Fertighäusern über Toiletten bis zu speziellen Dachziegeln aus Kunststoff alle Bereiche ab – Sie können fast ein ganzes Haus aus Panasonic-Produkten bauen. Automotive befasst sich wie der Name schon sagt mit der Automobilbranche, traditionell vor allem mit Komfortelektronik. Bei Business geht es vorwiegend um Fabrikautomatisierung und Infotainmentsysteme für die Luftfahrtindustrie, die ja leider gerade stark unter Druck steht. Hier ist Panasonic mit einem Marktanteil von weit über 50 Prozent führend – wenn Sie auf einem Fernflug einen Film schauen, tun Sie das sehr wahrscheinlich auf einem Panasonic- System.

J-BIG: Was ist dabei die Rolle von Panasonic Industry Europe?
Johannes Spatz: Per se sind wir als Vertriebsorganisation aufgestellt, um die Produkte des Konzerns in ganz Europa zu verkaufen. Die Europazentrale ist hier in Ottobrunn bei München und bündelt diese Aktivitäten.
Meine Ambitionen gehen allerdings darüber hinaus – unser Ziel ist es, für den Kunden einen Mehrwert zu schaffen, indem wir nicht ausschließlich Produkte, sondern individuelle Kundenlösungen aus unterschiedlichen Bereichen anbieten. Unsere Kunden interessiert am Ende nicht, ob ein Produkt zu Automotive, Life Solutions oder Business gehört. Für sie ist das alles Panasonic, und sie wollen einen einzigen Ansprechpartner für alle relevanten Produkte und kombinierte Lösungen.
Eine unserer wichtigsten Aktivitäten ist es also, auf Kundenseite zusammenzuführen, was organisatorisch getrennt sein muss. Deshalb betrachten wir auch Technologien oder Produkte aus anderen Bereichen und suchen dafür neue Anwendungsfelder im industriellen Umfeld. Bestes Beispiel sind hier Solarzellen: Diese kommen eigentlich aus dem Life- Solutions-Bereich und werden in Europa nicht im großen Stil vertrieben, für spezifische Anwendungen sind sie aber durchaus von hohem Interesse.


J-BIG: Welche Zielmärkte haben Sie dabei im Blick, und wie unterscheiden sich diese in Deutschland und Japan?
Johannes Spatz: Wir konzentrieren uns nicht auf spitze Zielmärkte, sondern wollen mit der Breite unseres Produktportfolios ein möglichst breites Spektrum abdecken. Dabei unterscheiden wir drei große Bereiche: Living, Mobility und Business. Die meiste Zeit des Tages verbringen Sie entweder zuhause, in der Arbeit, oder unterwegs, damit decken wir also sehr viel ab.
Die strategischen Unterschiede zwischen Japan und Deutschland bestehen eher darin, wie wir diese drei Kategorien bedienen. Der Living-Bereich ist ein gutes Beispiel: Die Life-Solutions-Lösungen von Panasonic sind sehr stark auf den japanischen Markt fokussiert. Rasierer oder Fahrräder der Marke Panasonic sind dort allgegenwärtig, in Deutschland werden Sie diese dagegen kaum finden. Das heißt aber nicht, dass dieser Bereich für uns nicht in der Rolle als Zulieferer relevant ist – Panasonic Industry Europe liefert beispielsweise Batterien und Komponenten für Braun, Philips und Co.
Ähnliches gilt für den Bereich Mobility: Panasonic Industry Europe baut keine Fahrzeuge oder Motoren, aber als Tier-2-Hersteller beliefern wir alle großen Zulieferer – Bosch, Continental, Valeo, ZF, die ganze Riege der Tier-1-Unternehmen. Unsere Strategie in Europa und Deutschland ist es also, auf einer unteren bis mittleren Wertschöpfungsebene in die Breite zu gehen. Dadurch ist Panasonic Industry Europe für den Endverbraucher zwar weniger sichtbar, steckt allerdings in sehr vielen deutschen Produkten. In der Kommunikation nutzen wir den Hashtag #weareIN, um diese Vielfalt auszudrücken. Als Panasonic Industry bewegen wir uns dabei im B2B-Bereich – und auch Panasonic-CEO Kazuhiro Tsuga hat das explizite Ziel ausgerufen, das Gesamtunternehmen noch stärker in diese Richtung zu positionieren.
„Wo auch immer Elektronik im Spiel ist, können wir unsere Expertise einbringen.“
J-BIG: Welche Zukunftsperspektiven sehen Sie für Panasonic Industry Europe — vor allem auch im deutschen Markt?
Johannes Spatz: Wir denken hier in unterschiedliche Richtungen – wo auch immer Elektronik im Spiel ist, können wir unsere Expertise einbringen. In der Automobilindustrie ist beispielsweise das Thema Elektrifizierung ein Zukunftstreiber für uns. Bei Verbrennern sind wir hauptsächlich in der Komfortelektronik vertreten, aber die Elektromobilität ermöglicht es uns erstmals, ins Herz des Autos vorzudringen: den Antriebsstrang. Unsere Batterien, Hochstromrelais oder DC-Link-Kondensatoren finden Sie überall von Tesla über Nissan bis zu den Elektro-Modellen von BMW. Hier sehen wir noch viel Potenzial, ganz besonders in Europa und Deutschland.
Daneben platzieren wir unsere Technologien auch im breiteren E-Mobility- Umfeld. Wir haben beispielsweise einen neuen Cycle-Tech-Bereich eingerichtet, in dem wir unter anderem Motoren für E-Bikes anbieten. Und auch am Thema Air Mobility sind wir mit einigen Forschungsprojekten, zum Beispiel gemeinsam mit Airbus, dran.
Immer wichtiger wird in diesem Zusammenhang außerdem das Thema Infrastruktur. Wir liefern beispielsweise auch Komponenten für Ladesäulen und Ladekabel. Jedes Ladesystem muss ein- und ausgeschaltet werden. Das hört sich simpel an, aber bei einem Kurzschluss sind hier hunderte von Ampere und tausende von Watt im Spiel – das muss ein Relais erstmal aushalten. Und auch im wachsenden Bereich Dateninfrastruktur sind wir bereits aktiv: Unsere Elektronik sichert etwa die unterbrechungsfreie Stromversorgung der europäischen Datenzentren von Facebook und Amazon.
Denkbar sind in Zukunft auch Energieinfrastrukturlösungen für Gebäude. Wir haben gerade mit einem Partner unser komplettes Dach in Ottobrunn mit Panasonic-Photovoltaik-Modulen ausgestattet. Die Zellen sind von uns, und auch die Infrastruktur – Energiezähler und Ähnliches – stellen wir bereits her. Das ist auf großes Interesse bei einigen anderen Unternehmen gestoßen.

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J-BIG: Sie sind seit 2004 CEO bei Panasonic in Europa – ein beachtlicher Erfolg. Haben Sie Ratschläge für deutsche Manager, die in japanischen Unternehmen weiterkommen wollen?
Johannes Spatz: Am wichtigsten ist es, sich auf einen kulturellen Perspektivwechsel einzulassen. In deutschen Konzernen geht es viel um Fakten und Beweise. Wie komme ich zur richtigen Lösung, wer hat recht? Das ist in japanischen Unternehmen manchmal weniger wichtig als die Frage: Wie sehen das die anderen? Was müssen wir tun, um einen Konsens zu finden? Damit will ich nicht sagen, dass Japanern Fakten nicht wichtig sind, im Gegenteil: Bei unseren Produkten geht es oft um Millimeter. Aber im Sinne von Nemawashi verschiedene Meinungen einzuholen und alle Bereiche mitzunehmen ist essenziell, um zu einer Entscheidung zu kommen. Das kann deutsche Mitarbeiter wahnsinnig machen; sie wiederholen ungeduldig nochmal alle Fakten und bringen damit wiederum ihre japanischen Kollegen auf die Palme. Gerade im Umgang mit dem Headquarter muss man sich darauf einfach einlassen und die Prozesse respektieren.
Mein Ratschlag an alle, die zum ersten Mal geschäftlich nach Japan reisen, ist einfach: Verhaltet euch so, wie man sich in jeder neuen Umgebung als Gast verhalten würde. Höflich sein, eher zurückhaltend, beobachten, nicht versuchen, sich selbst in den Mittelpunkt zu rücken. Wenn man das beachtet, wird das meiner Erfahrung nach auch honoriert.
Es gibt allerdings eine Ausnahme beim Thema Zurückhaltung. Bei einem Nomikai, dem After-Work-Drink, kommt man einander in einer lockeren Atmosphäre näher und meistens auch automatisch zu einem Konsens, der eine sehr wichtige gemeinsame Basis darstellt. Mir ist es in meiner Karriere zweimal passiert, dass mir ein Japaner (in völlig nüchternem Zustand) um den Hals gefallen ist. Das ist das Ergebnis eines Vertrauensverhältnisses, das sich über Jahre aufgebaut hat.

J-BIG: Wie hat die Corona-Situation die Zusammenarbeit mit Japan verändert?
Johannes Spatz: Zunächst war ich sehr überrascht, wie schnell Japan hier reagiert hat. Homeoffice war ja vor kurzem noch undenkbar, aber soweit ich höre, wird das wirklich konsequent umgesetzt.
Zweitens haben wir gemeinsam gemerkt, dass sich vieles kompensieren lässt oder sogar einfacher geworden ist. Wir haben über Jahre versucht, Microsoft Teams umzusetzen, und plötzlich ging das innerhalb von einem Wochenende über die Bühne – wir kamen am Montag ins Büro und alles lief einwandfrei. Statt wegen eines zweistündigen Reporting- Meetings nach Japan zu fliegen, mache ich das jetzt einfach virtuell.
Formal läuft also alles, aber trotzdem geht zweifelsfrei etwas verloren. Wir haben weniger Einblicke in die informellen Abstimmungen und Strukturen, die im Hintergrund laufen. Selbst unsere japanischen Expats merken das ein Stück weit. Und genauso wichtig ist es, dass japanische Kollegen nach Deutschland kommen, Europa erleben, den Kunden vor Ort treffen etc. Das lässt sich nicht adäquat virtuell abbilden. Meine Zielsetzung für die Zukunft ist also durchaus, Reisen zu reduzieren. Aber ganz darauf verzichten können wir auf keinen Fall.

J-BIG: Wie viel von der japanischen Panasonic-Kultur steckt in Panasonic Industry Europe?
Johannes Spatz: Unsere Firmenkultur ist definitiv von der japanischen Firmenhistorie geprägt. Die Prinzipien und Werte, die Konosuke Matsushita, der Gründer von Panasonic, 1932 formuliert hat, gelten bis heute und werden auch gelebt – und zwar global. Auch wenn Strukturen oder Arbeitsweisen sich teilweise unterscheiden, ist das eine gemeinsame Basis, die die internationale Zusammenarbeit erleichtert. Man kann bei vielem anderer Meinung sein, aber es besteht nie Uneinigkeit darüber, wer wir sind oder was uns wichtig ist.

J-BIG: Panasonic Industry Europe ist ein gelungenes Beispiel dafür, dass japanische Unternehmen in Deutschland erfolgreich sein können. Würden Sie auch anderen japanischen Unternehmen raten, den Schritt nach Deutschland zu wagen?
Johannes Spatz: Das hängt auch von der Branche ab – wer beispielsweise in der europäischen Automobilindustrie Fuß fassen will, ist in Deutschland sicher gut aufgeboben. Aber auch eine weitreichendere Entwicklung macht Europa und speziell Deutschland als Standort attraktiv: Die Corona-Pandemie hat ein Stück weit die Grenzen der Globalisierung aufgezeigt. Lokalisierung wird deshalb wieder mehr in den Mittelpunkt rücken. Einfache Lieferketten, schnelle Reaktionszeiten, Agilität – all diese Themen bedürfen einer Nähe zum Kunden. Ich bin überzeugt, dass individuelle Produktion und das ganze Thema „Customization“ die Märke in Zukunft stärker prägen werden, und hier ist Deutschland mit seinem starken Mittelstand immer noch gut gerüstet. Wer hier in Europa mitspielen will, tut also gut daran, nach Deutschland zu kommen.