Josef Göhlen (91) ist ehemaliger ZDF-Produzent und brachte Anime-Kultserien wie „Wickie und die starken Männer“, „Die Biene Maja“ und „Heidi“ durch deutsch-japanische Koproduktionen und Lizenzgeschäfte mit japanischen Anime-Studios ins deutsche Fernsehen. Er war die prägende Figur der ersten Anime-Welle in Deutschland. In diesem Kontext arbeitete er unter anderem mit Isao Takahata, einem der späteren Gründer des Studio Ghibli, und den einflussreichen Medienmachern Leo Kirch und Hans Andresen zusammen. Gemeinsam entwickelten die Fernsehpioniere ein Geschäftsmodell für eine Zusammenarbeit mit japanischen Firmen, das später auch von anderen Sendern genutzt wurde. Mit viel Liebe zum Detail und Gefühl für die Lokalisierung der Inhalte wirkte Göhlen maßgeblich daran mit, japanische Formate an das deutsche Publikum anzupassen und ihnen eine ganz eigene Note zu verpassen, beispielsweise mit deutschen Titelliedern wie: „In einem unbekannten Land…“. J-BIG sprach mit Josef Göhlen über die Anfänge der deutsch-japanischen Koproduktionen in den 1970er Jahren.
J-BIG: Herr Göhlen, in den frühen 1970er Jahren haben Sie Anime erstmals im großen Stil durch Koproduktionen zwischen dem ZDF und japanischen Studios nach Deutschland gebracht. Wie kam es dazu und wie entstanden die ersten Kontakte nach Japan?
Josef Göhlen: Im Jahr 1960 habe ich beim WDR angefangen und wurde bald darauf Redakteur für Kinder- und Frauenprogramme. Mit der Absicht, diesem großen 25-Prozent-Sender der ARD Paroli zu bieten, wechselte ich drei Jahre später zum kleineren Hessischen Rundfunk nach Frankfurt ins Kinderprogramm. Dort versuchte ich zunächst einen festen jährlichen Sendeplatz für die Augsburger Puppenkiste innerhalb des ARD-Sendeprogramms zu erreichen. Dies gelang mir auch für den Sonntagvormittag und später dann für die Mittagszeit an Adventsonntagen, dank der „Jim Knopf“-Serie, die mit ihrem großen Erfolg das Ansehen der Puppenkiste innerhalb der ARD begünstigt hatte. Weitere Augsburger Puppenkiste-Produktionen folgten, daneben Nachrichtenformate und auch die Verfilmung von Pippi Langstrumpf als Realverfilmung, die ich in Kooperation mit Svensk Filmindustri realisierte.
Parallel dazu hatte ich bereits erste Berührungen mit Japan. Mein erster Kontakt war 1964, als das Dritte Programm eingeführt wurde und ein ausgesprochenes Bildungsprogramm sein sollte. Es wurden weltweit preiswerte Produktionen gesucht, die helfen konnten, das gesteckte Ziel zu erreichen. Eine vom Sender beauftragte Reise nach Japan sollte Lizenzprogramme bringen, die geeignet waren für das Hessische Fernsehen verarbeitet zu werden. Zehn Tage sollte die Reise dauern. Es wurden 14 Tage, in denen ich 1000 Minuten Programm fand, das nach Umarbeitung für deutsche Zuschauer von Interesse sein konnte.
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Dieses Material wurde mir zum ersten Mal von 16mm-Kopien in Tokyo auf meinem Hotelzimmer durch einen 19-jährigen Studenten mit Namen Tomosuke Suzuki vorgeführt. Suzuki wurde später ein Mitproduzent meiner Animationsserien wie „Wickie und die starken Männer“ oder „Die Biene Maja“. Ich kommuniziere noch heute gelegentlich mit ihm.
J-BIG: Was passierte mit dem Material aus Tokyo?
Josef Göhlen: Als das Material Wochen später im Hessischen Rundfunk ankam, hatte sich unser Konzept des Dritten Programms bereits sehr verändert, so dass weniger wissenschaftliche und bildungsintensive Programme gefragt waren und die Beiträge aus Japan unter anderen Gesichtspunkten als geplant bearbeitet werden mussten. Ich erfand deshalb neue Formate und nutzte unter anderem das japanische Material für die Magazinreihe „Ich wünsch mir was“ mit Kater Mikesch und Hilde Nocker. Fantasie war gefragt, um aus dem erworbenen Material sendefähiges Programm für das Deutsche Fernsehen zu machen.
Meine Reise nach Japan vor fast 60 Jahren war der Schlüssel meiner Liebe zu Japan und meines Respekts gegenüber den Anime-Schätzen, welche die japanische Fernsehwirtschaft reichlich parat hielt. Schon bei meinem ersten Besuch 1964 in Tokio machte ich die Bekanntschaft mit Hans Andresen, einem Freund Leo Kirchs und dessen Mitbegründer einer gemeinsamen Firma in München. Die beiden hatten ein sehr lukratives Geschäftsmodell für den Ein- und Verkauf von Film-Lizenzrechten entwickelt. Hans Andresen ist in meiner Erinnerung ein zynisch denkender, manchmal auch ein zynisch handelnder geistreicher gebildeter Weltkenner, der sechs Sprachen sprach, immer auf der Suche nach neuen geschäftlichen und geistig aufregenden Abenteuern war und von dem niemand genau wusste, wo er sich auf der Welt aufhielt. Seine vertraglichen Geschäfte machte er vom Hotelzimmer aus oder von öffentlichen Telefonen. Sein Büro hatte er in einem Koffer. Hans Andresen war ein einsamer Single und dennoch ein Genie menschlich-empathischer Kommunikation, der Kunst und Wissenschaft liebte, Bücher über Griechenland, das Römische Reich und Ägypten sammelte und seine große Gemäldesammlung von Nachfolgern der klassischen niederländischen Maler der Universität von Santa Barbara vermachte. Er war ein geistreicher Kauz, der seine Reisen nicht nach logischen, sondern nach emotionalen Gesichtspunkten aussuchte und zusammenstellte, um dann aber bei Verhandlungen klar und kühl seine Forderungen zu formulieren. Ich konnte ihm bewundernd zuhören bei Verhandlungen mit Disney in LA oder auch bei Zuiyo Enterprises, dem Vorläufer von Nippon Animation, in Tokyo.
Mit ihm wurde ein Koproduktionsmodell erfunden, das jedem Koproduktionspartner finanzielle Investitionen angemessen des erworbenen Rechteumfangs nach Art und Umfang der Rechte abverlangte. Die Produktion war in Japan, die Autoren saßen in LA und München und die Redaktion in Mainz beim ZDF, in München bei Taurus Film und in Wien beim ORF und Apollo Film. Die Vertriebsrechte für den asiatischen Raum lagen in Japan bei Nippon Animation und für den westlichen europäischen, angelsächsischen, afrikanischen und südamerikanischen Raum bei Beta Film München. Dieses Modell, das sich möglicherweise etwas kompliziert anhört, hat die Produktion für jeden Partner preiswert gemacht, eine erhöhte Produktionsqualität und zugleich die redaktionelle Hoheit des ZDF abgesichert. Nach diesem Modell entstanden dann 78 Episoden von „Wickie und die starken Männer“, später 104 Folgen „Die Biene Maja“, 52 Teile von „Pinocchio“ und 52 Episoden von „Alice im Wunderland“.
J-BIG: War es denn schwierig mit den japanischen Firmen ein solches Modell aufzusetzen?
Josef Göhlen: Es war nicht einfach, aber diese Koproduktionen wurden schon dadurch erleichtert, da zu dieser Zeit japanische Firmen den europäischen Markt erschließen wollten und deshalb europäischen Stoffen gegenüber aufgeschlossen waren. Man hatte genügend Dienstleistungen für amerikanische Firmen erbracht und nun wollte man direkt mit Firmen in Europa, besonders mit denen, die den Fernsehmarkt in Deutschland bestimmten, zusammenarbeiten. Die Türe nach Europa sollte nach Willen der japanischen Partner „Heidi“ sein, wozu die Japaner zu meiner aktiven Zeit bei Taurus Film zwischen 1970 und 1973 Kontakt mit Beta Film aufgenommen hatten und ihre Recherchen im „Heidiland“ in der Schweiz und in Frankfurt durch uns betreuen ließen. Ich lernte Isao Takahata, den späteren Co-Gründer des Studio Ghibli und Regisseur von „Heidi“, bei der Reise oder kurz darauf in Japan kennen und unser beiderseitiges karges Englisch ermöglichte doch eine Kommunikation, die für eine gelegentliche redaktionelle Kritik und weitere Zusammenarbeit fruchtbar war.
J-BIG: Sie arbeiteten also immer enger mit Japan zusammen. Was für eine Erfahrung war das für Sie in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts?
Josef Göhlen: Die wiederholten Aufenthalte in Tokyo waren anstrengend, aber auch abwechslungsreich und körperlich wie geistig bereichernd. Ich genoss das japanische Bad, das nicht nur durch seine verschiedenen Wasserbecken mit verschiedenen Heizgraden, sondern auch durch den nach dem Bad gereichten grünen Tee erfrischte. Ich genoss die Besuche der klassischen Konzerte in riesigen Musikhallen, die kommunikativ für einen Europäer schwierigen Theateraufführungen des Kabuki- und No-Schauspiels, die Spaziergänge in japanischen nach mediativen Konzepten gestalteten Parks, Klöster und buddhistischen Tempeln, aber auch die Einführung in Entwicklungsabteilungen der Anime-Studios in ein der Zukunft zugewandtes Digitalverfahren für Animes in seinen rudimentären Anfängen. Die Arbeit an „Wickie und die starken Männer“, „Die Biene Maja“, und den weiteren Trickfilmserien wurde aber noch von vielen Zeichnern mit der Gestaltung vieler Folien in verschachtelten Räumen vorgenommen.
Die Kommunikation mit den japanischen Animationsprofis war nicht ganz einfach. Anstrengend waren die Sitzungen, wenn es um Änderungswünsche meinerseits ging. Die Kommunikation war nicht deshalb schwierig, weil in dem Disput Dolmetscher notwendig waren – hierin taten Hans Andresen und Tomosuke Suzuki ihr Bestes – nein, auch weil das Selbstverständnis der Partner ein stolzes war. „Kommt doch da jemand aus dem Westen und will uns etwas lehren“, können die Partner gedacht haben. Das kratzte am Stolz der Kreativen. Zunächst führte nur langes Argumentieren zum Ziel, später nach Vertrauensgewinn waren nur kurze Bemerkungen nötig, um Änderungen, die man redaktionell vertreten musste, durchzuführen. Das Arbeitsmodell Redaktion in Mainz, Wien und München, Autoren in Los Angeles und München und Herstellung in Tokyo setzte sich schließlich durch, so dass nach dem Vorbild dieses ZDF-Modells auch die ARD bei der Serie „Nils Holgersson“ mit ihm arbeiten konnte.
J-BIG: Dass es einmal ein solches Erfolgsmodell werden sollte, war aber vermutlich nicht von Anfang an klar.
Josef Göhlen: Die Realisation von „Wickie und die starken Männer“ sollte der Generaltest sein. „Heidi“ konnte das nicht sein, weil hierzu die Produktion schon begonnen hatte und unser Einfluss nur der des Lizenznehmers war. Für den Einstieg in das Geschäft der Koproduktion war „Wickie und die starken Männer“ also die Schlüsselgeschichte. Diese nahm ihre Anfänge Mitte der 60er Jahre.
Die Geschichte des kleinen Wikingerjungen wurde aus dem Schwedischen ins Deutsche im Jahr 1964 übersetzt, bekam 1965 den Deutschen Jugendbuchpreis und landete durch einen Vertreter des damals noch existierenden Herold Verlags auf meinem Bürotisch im Hessischen Rundfunk. Es wurde seitens des Verlages erwartet, den Stoff durch die Augsburger Puppenkiste als TV-Puppenspiel realisieren zu lassen. Ich aber konnte den Verlag zum Abwarten überreden, bis ich eine finanzielle Möglichkeit sehen würde, die Geschichte ins Fernsehen zu bringen.
Ich sah diese Möglichkeit erst, als ich mich 1970 bei Beta Film und Taurus Film engagierte. Hier erwartete man neue Ideen, die man den Sendern anbieten konnte, z. B. dem WDR. Denn Leo Kirch hatte sich überreden lassen, die vom WDR deutsch-tschechoslowakisch koproduzierte Serie „Pan Tau“ in den Weltvertrieb zu nehmen. Der Absatz aber tat sich schwer und deshalb wurde dem WDR als äquivalente Gegengabe nahegelegt, „Wickie“ in Koproduktion gemeinsam zu produzieren. Der WDR ging auf den Vorschlag ein, verlangte aber die redaktionelle Aufsicht und ließ Fachkräfte aus dem Osten Deutschlands und der Tschechoslowakei kommen mit denen er ein Atelier in Oberbayern einrichtete. Zu einem bestimmten Stichtag sollten die ersten Aufnahmen abgenommen werden. Der Stichtag kam und es war kein Filmausschnitt zu sehen. Es gab ein großes Schiff als Modell und ebenso zwei Charaktere, mehr nicht. Die Arbeit wurde beendet und da es wegen des schleppenden Verkaufs von „Pan Tau“ weitere Auseinandersetzungen gab, wurde auch der Deal „Wickie“ aufgelöst. Nun hatte ich wieder den Stoff „Wickie“ in meiner Schublade, diesmal bei Beta Film. Was nun?
Jetzt musste der bereits erwähnte Hans Andresen helfen. Und er half, indem er japanische Partner ins Boot holte. Tomosuke Suzuki tat das Gleiche bei Fuji TV und ich sprach mit dem ORF und dem ZDF. Ich konnte meinen Freund Alois Schardt, der gerade das ZDF-Kinderprogramm übernommen hatte, zu einer Reise nach Tokyo überreden, wo er vor Ort die Annäherung des Designs an den westlichen Geschmack bewundern konnte. Die Grundfinanzierung des Koproduktionsmodells hatte noch vor Abschluss eines Vertrages mit einem Sender Leo Kirch mit seiner Beta Film als Vertriebsfirma übernommen. Das Kooperationsmodell hat sich bewährt und es konnten nach „Wickie und die starken Männer“ nun weitere Produkte wie schon erwähnt, realisiert werden.
J-BIG: „Wickie“ kam dann 1974 ins Programm. Wie wurde die Serie beim ZDF und vom Publikum aufgenommen? War sie sofort ein Erfolg, so dass „Die Biene Maja“ direkt eine logische Konsequenz war?
Josef Göhlen: „Wickie“ war ein riesiger, ein überwältigender Erfolg, den keiner leugnen konnte, selbst die im Hause ZDF nicht, die sich ein stärkeres Pädagogisieren im Programm wünschten. Dabei wurde übersehen, dass „Wickie“ in poetisch-humorvoller Bindung ein Prototyp der Emanzipation eines Kindes in einer Gesellschaft Erwachsener ist und dadurch beispielhaft sein kann. Ein Junge, der ängstlich, aber mutig den Erwachsenen Paroli bieten kann. Die Beliebtheit der Serie zeichnete sich aus durch die Nachahmung von Wickies Gestik, wie das von mir erfundene Nasereiben, wenn Wickie eine Idee hat, die Bekanntheit des Titelliedes von Christian Bruhn, gesungen von den Bläck Föös, und der Programmmusik von einem ebenso begabten Komponisten Karel Svoboda. Die fast immer währende Präsenz der Serie auf den Bildschirmen, der Kinopräsenz in bester Manier beim Kinofilm von Michael „Bully“ Herbig, der Wechsel der Rechteinhaber und das neue Cover der Serie beweisen heute noch den Erfolg. Ähnliches gilt es zur „Biene Maja“ zu sagen. Beide Serien haben kometenhaft einen fast unerträglichen Boom von Merchandising ausgelöst, der nicht von den Urhebern, auch nicht von mir, in dem heutigen Umfang Ziel war. Wir wollten lediglich die Kinder und deren Familien sinnvoll und geschmackvoll unterhalten. Beide Titel haben sich verselbstständigend kommerzialisiert. Dabei haben es uns die Japaner vorgemacht: Noch bevor „Maja“ in Europa auf Sendung ging, wurde die Biene in China gezeigt. Man hat die Serie dem dortigen Fernsehen zur Verfügung gestellt mit Werbeeinblendungen der japanischen Fotoindustrie. Obwohl zu dieser Zeit noch kein Chinese einen Fotoapparat kaufen konnte, wurde dennoch Werbung dafür gemacht, mit der Absicht, wie man mir sagte: „In 50 Jahren können sie kaufen.“ Wie Recht sie vorausschauend hatten!
Beide Titel „Wickie“ und „Maja“ sind zu Kultserien und damit zu Marken geworden, die immer und jederzeit rund über den Globus einsetzbar sind und auch eingesetzt werden. Dabei bin ich all denen dankbar, welche die originale deutsch-japanische Fassung mehr als die neuere Computerfassung lieben, weil sie spüren, dass die Originalfassung mit Liebe und Engagement zu Programm, Poesie und Humor entstanden ist.
Der Erfolg im Kinderprogramm wurde natürlich im ZDF nicht übersehen. Das konnte man nicht, weil er zu groß war. Dennoch gab es immer wieder Nachfragen einzelner penetrant erzieherisch denkender Gremienmitglieder nach Sinn und Zweck solcher Programme. Der Konflikt, der damit latent schwebte, wurde dadurch gelöst, dass ich nach Ausstrahlung von „Captain Future“ im ZDF im Kinderprogramm abgelöst wurde und für mich eine neue Hauptredaktion „Reihen und Serien/Vorabend“ geschaffen wurde. Meine Nachfolger im Kinderprogramm stellten ihren Programmkompass auf mehr sichtbare Pädagogik ein.
J-BIG: À Propos „Captain Future“ – das war ja eine der Lizenzserien, die auf Heidi folgten. Neben den deutsch-japanischen Koproduktionen waren japanische Lizenzserien die zweite Schiene von Anime-Formaten im ZDF. Wie kam es zu den Lizensierungen?
Josef Göhlen: Die Firma Beta Film in München war damals die einzige deutsche Firma, die Kontakt zu Produzierenden in den USA und eine Übersicht über TV-Geschehnisse in den USA und in Japan hatte – dank aufgeschlossener wirtschaftlich denkender und handelnder Personen wie der schon erwähnte Hans Andresen und dessen Mitstreiter in den USA, Klaus Hallig. Die ersten japanischen Animeserien wurden über die amerikanische Brücke in amerikanischer Fassung angeboten, darunter z. B. „Anne mit den roten Haaren“ oder eben auch „Captain Future“. Diese bearbeiteten wir wiederum für das deutsche und das österreichische Fernsehen.
Erst durch die Übernahme von „Heidi“ im Zusammenhang mit unserem Koproduktionsmodell wurde es möglich, direkt von japanischen Firmen Lizenzprogramme zu erwerben. Wir hatten es bei unserer Synchronisation in der Hand, manches in eine für unser Publikum verständlichere Dramaturgie zu bringen. Schnitte und Umstellungen nach vertraglicher Übereinkunft ermöglichten dies. Dennoch blieb die Grundaussage und das Grunddesign erhalten. Meist wurde auch die Musik dem deutschen Geschmack adäquat ausgetauscht, wobei manches Titellied heute noch wie ein Evergreen gesungen wird, z. B. „Heidi, Heidi, deine Welt sind die Berge….“, komponiert von Christian Bruhn, gesungen von Erika und Gitte, „Hey, hey, Wickie“, gesungen von den Stowaways, den späteren Bläck Föös, oder das Maja-Lied „In einem unbekannten Land…“, komponiert von Karel Svoboda und gesungen von Karel Gott. „Captain Futures“ deutscher Instrumentaltitel, komponiert von Christian Bruhn, ist heute noch beliebt und bekannt. Die Serie war neben „Heidi“ die erfolgreichste japanische Lizenzserie und der Austausch von Szenenfotos unter Schülern auf dem Pausenhof war eine Alltäglichkeit.
J-BIG: „Captain Future“ sorgte durchaus für Diskussionen, wie vorher in den frühen 70ern das Experiment mit „Speed Racer“. Zu „dumm und gewalttätig“ und „Elternproteste“ waren die Schlagworte, die man heute noch zu diesen Entwicklungen lesen kann. Wie waren die Reaktionen wirklich?
Josef Göhlen: Japan hat manchen Manga- und Animekünstler, der in poetisch klassischer traditioneller Grafikmanier seine Mangas zeichnet, textet und seine animierten Videos gestaltet. Das sind Künstler, die aber den Weg in die Massenmedien nicht finden, sondern speziellen Ausstellungen vorbehalten bleiben. Die Kritik galt den für die Massenmedien produzierten Serien weniger aufgrund ihrer Inhalte, vielmehr lag es an deren äußerem Design, das science-fiction-mäßig magisch-technisch anmutete, mit verzerrten Figuren mit Schwellköpfen, großen Augen und großen Mündern, welche dem japanischen Anime-Stil entsprachen. Zum Teil konnte ich die Kritik verstehen. Waren doch die meisten Serien so „laut“ wie die Lautstärke in den Pachinko-Hallen Tokyos. Die Diskussion orientierte sich an Äußerlichkeiten, die im Westen ungewohnt waren. Bei „Captain Future“ war das Design bereits abgemildert, weil die Zeichner sich an den amerikanischen Printausgaben des im Weltall Frieden schaffenden Captains von 1940 orientiert hatten.
Die Kritik, welche die Ausstrahlung im ZDF betraf, war im Zusammenhang mit dem ungewohnten äußeren Design und der Art und Weise der Verbrechensbekämpfung im Weltall geäußert worden. Die Zeit der Ausstrahlung war Anfang der 80er, eine Zeit, in der Künstliche Intelligenz noch ein Fremdwort war. Manche Gremienmitglieder waren noch nicht bereit dazu, eine märchenhaft futuristische Story mit ungewohnten Charakteren zu ertragen. Ich selbst habe daraus die Lehre gezogen und bei den Koproduktionen besonders auf die Grafik geachtet, damit sie nicht ganz in eine japanisch-modernistische Fantasiewelt abrutschte. Die deutsch-japanisch-amerikanische Zusammenarbeit hat sich so in den Koproduktionen bewährt.
J-BIG: Haben Sie, nachdem Sie selbst keine Verantwortung mehr für das Kinderprogramm im ZDF hatten, das Thema „Anime“ noch weiterverfolgt? Gerade auch die Entwicklungen im deutschen Privatfernsehen in den 1990er Jahren?
Josef Göhlen: Nachdem ich die Verantwortung für Kinderprogramme im ZDF aufgegeben hatte, habe ich mich um Anime-Programme nicht mehr wirklich gekümmert. Ich war zuständig für das Vorabendprogramm, in dem meist deutsche Auftragsproduktionen vorgesehen waren. Ich selbst habe als Lizenzen „Alf“ und „Die Simpsons“ ins Programm übernommen. „Alf“ war ein Erfolg, „Die Simpsons“ zunächst weniger. Diese wurden erst bei Pro7 zum Bestseller, weil das Sendeumfeld eher junge Zuschauer interessierte. Meine Nachfolger im Kinderprogramm lizensierten dann noch die japanische Serie „Sailor Moon“, die aber nach wenigen Sendeeinheiten bereits wieder eingestellt wurde und erst später auf RTL2 ihren Platz fand. Ich glaube, dass der Zuschauer damals beim ersten Anlauf unbewusst merkte, dass diese nach den reinen Gesetzen des Manga und Anime produzierten Serie ungeliebt und ohne großes Engagement ins Programm kam, weil sie auch keine auffallend gute Synchronisation aufwies.
J-BIG: Wie blicken Sie auf das heutige Kinderprogramm und die neuen Versionen ihrer 70er-Jahre-Serien?
Josef Göhlen: Eine 3D-Fassung lässt auch analog zu Computerspielen eine neue Dramaturgie zu, die wie es scheint, neue Zuschauergewohnheiten geschaffen hat. Dabei propagiert man als modern, was man als Mediengestalter selbst geschaffen hat, um eine rasante, actionreiche Story zu servieren. Knallbunt und laut müsse die Story sein. So, meinen manche Programmgestalter, möchten die Zuschauer ihre Unterhaltung haben. Dabei übersehen sie, dass sie selbst eine solche Situation bevorzugen. Was als modern gilt, ist modisch und noch lange nicht qualitativ hochstehend. Darunter hat auch der neue Look meiner mit großem Engagement in Kooperation mit japanischen Künstlern produzierten Werke „Wickie“, „Maja“ und „Heidi“ gelitten. Vergessen hat man daneben komplett die Poesie und den sensibleren Humor, welchen die gezeichneten Anime-Charaktere eher als die computergenerierten zuließen. Ich habe keine Übersicht mehr, welche Verbindungen noch zu TV-Produzenten in Japan bestehen. Aber ich habe immer noch einen Traum, eine Story in Serie zu erfinden, die den traditionellen feder- und tintenbestimmten Zeichenstil wieder zulässt.