Als Head of Fujitsu Central & Eastern Europe hat Rupert Lehner die Verantwortung für etwa 5.000 Mitarbeiter in Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie Russland und Polen. Mit J-BIG spricht er über die deutsche und japanische Historie des Unternehmens, die aktuelle Situation in Zeiten von Corona, und seine Pläne für die Zukunft des Unternehmens.
J-BIG: Herr Lehner, die Geschichte von Fujitsu ist sehr eng mit Deutschland verwoben. Wie kam es dazu?
Rupert Lehner: Fujitsu ist zwar ein japanisches Unternehmen, es gab aber von Anfang an eine sehr enge Kooperation mit Siemens – Fuji Tsushinki Seizo, wie das Unternehmen damals hieß, entstand 1935 aus einem Joint Venture mit dem deutschen Konzern; Fuji meinte dabei nicht den bekannten Berg, sondern wurde zusammengesetzt aus Furukawa und Jimensu, einer japanischen Aussprache von Siemens. Ab 1999 gab es dann das Joint Venture Fujitsu Siemens Computers – die Siemens-Anteile gingen 2009 an Fujitsu über.
Als Siemens sich entschieden hatte, die Anteile zu verkaufen, kamen Diskussionen auf, was das für uns bedeutet. Würde Siemens damit komplett aus der Fujitsu-Identität verschwinden? Ich habe immer die Meinung vertreten: Das kann gar nicht passieren. Die enge Beziehung und gemeinsame Vergangenheit der Unternehmen ist für immer im Namen festgehalten: das „ji“, in Fujitsu.
J-BIG: Welche Rolle spielen Europa – und besonders Deutschland – heute bei Fujitsu?
Rupert Lehner: Insgesamt kann man sagen: Fujitsu ist ein globales Unternehmen mit starken Wurzeln in Japan. Von den etwa 135.000 Mitarbeitern arbeiten rund 100.000 in Japan; zirka 20.000 leben und arbeiten in Europa. Innerhalb des europäischen Marktes ist Deutschland ein sehr wichtiges Land, auch was die Anzahl der Menschen angeht, die aktuell für Fujitsu arbeiten – etwa 4.500. Daneben sind wir noch in Großbritannien und in Irland recht stark vertreten. Und in Skandinavien ist Finnland ein wichtiger Markt.
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J-BIG: Welche Schwerpunkte setzen Sie für die Zukunft?
Rupert Lehner: Fujitsu ist seit der Gründung ein sehr stark technologiegetriebenes, hardware-orientiertes Unternehmen mit Produktgeschäft gewesen. Aus dieser starken Tradition kommend haben wir uns aber immer stärker in Richtung Lösungs- und Servicegeschäft orientiert. Unser Ziel ist es, die Digitalisierung entscheidend mitzugestalten.
Ein wichtiges Zukunftsthema, das dem ein oder anderen Leser sicher aus den Medien bekannt ist, sind hier Supercomputer, die zum Beispiel in der Wissenschaft und an Universitäten eingesetzt werden. Hier waren wir von Anfang an bei der Entwicklung ganz vorne mit dabei. Gemeinsam mit dem japanischen Forschungsinstitut RIKEN haben wir den aktuell leistungsstärksten Supercomputer der Welt, den Fugaku, entwickelt. Und hier in Deutschland haben wir dieses Jahr einen Vertrag mit der Universität Regensburg geschlossen: Die Forscher dort nutzen die für Fugaku entwickelte Prozessortechnologie unter anderem für die Urknall-Forschung.
Ein weiteres visionäres Thema sind Entwicklungen im Umfeld von Quanten-Computing. Hier haben wir eine Brückentechnologie mit dem Namen „Digital Annealing“ entwickelt. Sie nutzt Ansätze des Quanten-Computings und kann heute schon eingesetzt werden – mit einer deutlich höheren Rechengeschwindigkeit als die Prozessoren, die es aktuell am Markt gibt. Hier kooperieren wir mit unterschiedlichen deutschen Firmen, aus der Automobilindustrie ebenso wie der Logistik oder der Telekommunikation. Diese setzen die Technologie beispielweise im 5G-Umfeld ein.
Im Bereich der Services treiben wir das Thema End-User-Services und Datacenter-Services stark voran. Im Prinzip geht es hier um den Betrieb von Rechenzentren für Kunden, sowohl vor Ort beim Kunden als auch im Outsourcing. Außerdem haben wir vor Kurzem den Fujitsu Service Hub eingerichtet, eine neue Plattform, mit der wir unseren Kunden zukünftig hochstandardisierte und automatisierte Services zur Verfügung stellen werden. Das reicht von SAP-Services bis hin zum Support für Anwender: Stellen Sie sich vor, an ihrem Laptop oder Desktop treten irgendwelche Fehler auf. Früher mussten Sie bei einer Service-Stelle anrufen und hoffen, dass Ihnen dort jemand weiterhelfen kann. Mit unserem Service Hub kann der Großteil dieser Probleme automatisiert gelöst werden, ohne dass der Kunde in Warteschleifen hängt oder auf einen Rückruf warten muss. Mit diesem Angebot sind wir aktuell auf dem Markt führend – das sagen auch unserer Partner und Kunden.
J-BIG: Erkennen Sie unterschiedliche Trends im japanischen und deutschen Markt, was Ihr Angebot angeht?
Rupert Lehner: Grundsätzlich haben wir ein globales Portfolio, aber es gibt Unterschiede, wie wir diese Lösungen unseren Kunden anbieten. Der japanische Markt ist nach wie vor sehr geschlossen; es wird relativ viel Customizing, also individuelle Anpassung von Lösungen, betrieben. In Europa gibt es einen wesentlich höheren Grad an Standardisierung. Lösungen für den japanischen Markt müssen deshalb mitunter erstmal für den europäischen Markt adaptiert werden. Und andersherum haben wir heute Prozesse im Unternehmen, mit denen wir die Erfahrungen des europäischen Marktes in die Entwicklungen in Japan einfließen lassen können.
J-BIG: Wie funktioniert der Austausch zwischen Japan und Deutschland bei Fujitsu?
Rupert Lehner: Wir haben sehr viel Austausch in beide Richtungen. Allein hier in München haben wir im Durchschnitt etwa 80 Expats aus Japan. Diese Aufenthalte sind sehr wichtig für die japanischen Kollegen, um den „Overseas“-Markt zu verstehen. Sie erleben einerseits, wie sich die Kundenanforderungen unterscheiden, und andererseits, dass Fujitsu als Marke hier in Europa einfach einen anderen Stellenwert hat als in Japan. Dort ist Fujitsu allein durch seine Größe und Marktdurchdringung allgegenwärtig – die Kollegen im Headquarter können teilweise gar nicht verstehen, warum wir in Europa Werbung und Kommunikation machen müssen! Und wenn ich bei der Einreise nach Japan dem Beamten an der Passkontrolle sage, dass ich für Fujitsu arbeite, folgt nicht selten eine beeindruckte Verbeugung. Hier in Europa ist unsere Marktposition aber definitiv anders. Auch die Kundenstruktur zu sehen, die wir hier in Deutschland haben, ist für die Kollegen aus Japan sehr interessant. In Deutschland zum Beispiel arbeiten wir zwar auch für viele globale Großkonzerne, aber haben eben auch ein sehr starkes Mittelstandsgeschäft.
Auf der anderen Seite sind wir sehr interessiert daran, deutsche oder europäische Mitarbeiter nach Japan zu bringen. Das hat sich zwar in den letzten Jahren gut entwickelt, ich sage aber auch ganz deutlich: Hier könnte und müsste noch viel mehr passieren. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, wie wertvoll es ist, die Mentalität der Kollegen vor Ort besser kennenzulernen. Aktuell gehen aber noch wesentlich weniger „Overseas“-Mitarbeiter nach Japan als andersherum. Daran werden wir arbeiten.
J-BIG: Aktuell ist es ja eher schwierig mit dem Reisen. Was hat die Corona-Pandemie noch für Sie verändert?
Rupert Lehner: In Europa waren wir als Firma beim Thema Homeoffice schon immer recht flexibel aufgestellt. Im Headquarter war der Kulturwandel größer; dort hat Fujitsu zuletzt den „Work Life Shift“ ausgerufen. Hier in Deutschland haben auch vor Corona 30-40 Prozent unserer Kollegen von zuhause gearbeitet, technisch waren wir also gut vorbereitet – da haben wir als IT-Unternehmen natürlich gewisse Vorteile. In solchen Zeiten zeigt sich die Substanz von Unternehmen, und da haben wir denke ich in der Vergangenheit viel richtig gemacht. Auf Kurzarbeit zum Beispiel konnten wir bisher glücklicherweise komplett verzichten.
Trotzdem spüren natürlich auch wir die Auswirkungen. Ein großer Kunde ist beispielsweise die Lufthansa – deren schwierige Situation geht auch an uns nicht spurlos vorüber. Und auch in der Zusammenarbeit haben sich Dinge verändert. Wir haben beispielweise gelernt, dass viele Meetings, von denen man dachte, dass sie Face-to-Face stattfinden müssen, auch sehr gut per Videokonferenz funktionieren. Auch wenn wir irgendwann am Punkt des „New Normal“ angekommen sind, möchten wir das teilweise beibehalten und beispielsweise Reisen reduzieren.
Wenn im Austausch mit Japan noch die interkulturelle Komponente dazukommt, haben wir aber auch klar gemerkt, wie wichtig der persönliche Austausch ist. So gut unsere technischen Möglichkeiten heute auch sind, sie können nicht alles Zwischenmenschliche vermitteln. Das war in der Vergangenheit auch ein Grund für uns, verstärkt Kunden nach Japan zu bringen, etwa zur Veranstaltung „Fujitsu Forum“, die vor Corona alljährlich im Mai in Tokio stattgefunden hat. Den Kunden hat das sehr geholfen, uns und unsere Kultur besser zu verstehen, und das wirkt sich auch positiv auf die Kundenbeziehung aus. Sobald es wieder möglich sein wird, werde ich also auf jeden Fall wieder nach Japan reisen.
„Wenn es zum Beispiel um die Entwicklung des Portfolios geht, denken japanische Unternehmen oft sehr viel langfristiger.“
J-BIG: Welche positiven Aspekte der japanischen Kultur des Unternehmens bekommen Kunden auch hier in Deutschland zu spüren?
Rupert Lehner: Zunächst ist da der hohe Qualitätsanspruch der Japaner – sowohl auf der Infrastruktur- als auch auf der Services-Seite können sich Kunden hier einfach auf Topqualität verlassen. Ein weiterer Punkt, der für uns hier sehr wichtig ist, ist der Datenschutz: Auch dabei gelten in Japan extrem hohe Standards. Und dann das langfristige Denken. Natürlich müssen auch wir heute in Quartalen denken, aber wenn es zum Beispiel um die Entwicklung des Portfolios geht, denken japanische Unternehmen oft sehr viel langfristiger.
Diese Beständigkeit zieht sich sogar bei der Personalentwicklung durch: Wir haben im letzten Geschäftsjahr 700 Mitarbeiter mit einem Schwerpunkt im Service-Bereich eingestellt und wollen hier noch stärker investieren. Nun könnte man denken, dass Corona dem erstmal einen Riegel vorschiebt, aber das Gegenteil war der Fall. Unser Präsident Takahito Tokita sagte: „Jetzt brauchen wir diese Mitarbeiter erst recht, denn diese Themen werden noch wichtiger werden.“
J-BIG: Und wo gibt es Reibungspunkte zwischen japanischer und europäischer Kultur?
Rupert Lehner: Ein Thema, das immer wieder aufkommt, ist die Entscheidungsgeschwindigkeit. In der japanischen Mentalität werden Entscheidungen oft nicht sofort gefällt; Dinge immer und immer wieder hinterfragt. Das führt einerseits dazu, dass Produkte bei Markteinführung 100 Prozent qualitätsgesichert sind, während andere vielleicht mit 80 Prozent auf den Markt gehen. Aber andererseits sind schnelle Entscheidungen gerade in der IT-Branche einfach ein wichtiger Faktor. Hier die richtige Balance zu finden, ist entscheidend. Teilweise können wir das durch die recht große Eigenständigkeit, die wir hier in Europa haben, ausgleichen. Unser „Innovation Hub“, wo Zukunftsthemen auch mal etwas experimenteller angegangen werden, ist beispielsweise aus der Organisation ausgegliedert.
Allerding muss ich auch sagen, dass dieses Vorgehen, Entscheidungen sehr bedacht und nie vorschnell zu treffen, sehr positiv sein kann. Das Mainframe-Geschäft ist hier ein gutes Beispiel: Das Thema wird seit Jahrzehnten totgesagt, ist für uns aber noch immer ein wichtiges und stark nachgefragtes Business. Hier haben wir gut daran getan, daran festzuhalten.
J-BIG: Sie sind bei vielen Digitalisierungsthemen Vorreiter; trotzdem denken in Deutschland viele beim Namen „Fujitsu“ vor allem an Laptops. Ärgert Sie das?
Rupert Lehner: Zunächst möchte ich betonen, dass es hier auch in Europa Unterschiede gibt. In Irland kennt man Fujitsu beispielsweise fast nur als Service-Company; das hat mit der Historie zu tun. In Deutschland ist vor allem die Siemens-Vergangenheit präsent, und die kam stark aus dem Desktop- und Notebook-, später auch aus dem Server- und Storage-Geschäft. Darum sind wir hier immer noch stärker als Infrastruktur-Provider bekannt, wenn auch inzwischen mehr im Zusammenhang mit Rechenzentren als mit Endgeräten. Trotzdem haben wir die Herausforderung, uns noch stärker in Richtung unserer Zukunftsthemen zu positionieren.
Das bedeutet nicht, dass wir in Zukunft kein Infrastruktur-Geschäft mehr machen, aber wir investieren intensiv in den Digitalisierungs- und Service-Bereich. Bei diesen Themen müssen wir noch stärker sichtbar werden, auch in der Öffentlichkeit. Eigentlich haben wir hier schon viele tolle Projekte und Referenzen, aber wir trommeln vielleicht zu wenig dafür – die typische japanische Zurückhaltung eben.
J-BIG: Wie möchten Sie dieses öffentliche Bild ändern?
Rupert Lehner: Da gibt es natürlich ganz unterschiedliche Hebel in der Kommunikation. Ein zentraler Ansatz, den wir in Zukunft verstärken wollen, ist bei den Studenten wieder präsenter zu werden – auch im Hinblick auf Recruiting ist das ein wichtiges Thema. In der Vergangenheit kannten uns viele dieser „Young Talents“ aus dem Consumer-Bereich. Als wir aus dem B2C-Geschäft ausgestiegen sind, sind diese Kontakte natürlich abgebrochen. Das wollen wir ändern.
Vor kurzen haben wir deshalb eine Stiftungsprofessur an der TU Hamburg für die nächsten zehn Jahre eingerichtet – die erste in Deutschland, die sich mit dem Thema kombinatorische Optimierung und Digital Annealing befasst. Und daneben gibt es Projekte wie die „Winter School“, die wir beispielsweise in Kooperation mit der LMU und der TU in München ausrichten.
J-BIG: In der Kommunikation ist auch immer wieder vom „Fujitsu Way“ die Rede. Was ist damit gemeint?
Rupert Lehner: Dieser Ausdruck beschreibt unsere strategische Ausrichtung für die Zukunft. „Human-centric“ ist in diesem Zusammenhang ein zentraler Begriff, und auch das ganze Thema „Social Responsibility“ ist hier verortet. Das war schon immer ein großes Thema bei Fujitsu und ist fester Bestandteil unserer DNA. Ich kann mich beispielsweise gut erinnern, dass der Umweltgedanke bei der Hardwarefertigung bei uns schon vor 25 Jahren eine große Rolle gespielt hat. Als global agierendes Unternehmen hat man einfach eine gewisse soziale Verantwortung, und das ist auch in unserem Tagesgeschäft ganz fest verankert.
Auch wenn mal einmal harte Entscheidungen getroffen werden muss, habe ich das Fujitsu-Management immer so erlebt, dass die Mitarbeiter im Vordergrund stehen. Selbst, wenn Stellen abgebaut werden müssen, wird nach einer für alle vertretbaren Lösung gesucht. Diese hohe Sozialkompetenz ist in der aktuellen Gangart der Wirtschaft nicht immer selbstverständlich.
J-BIG: Zu guter Letzt und mit all Ihrer Erfahrung in einem japanischen Unternehmen: Unter welchen Voraussetzungen würden Sie japanischen Unternehmen empfehlen, in Deutschland aktiv zu werden?
Rupert Lehner: Grundsätzlich würde ich sagen: Für jedes japanische Unternehmen, das in Europa aktiv werden möchte, ist Deutschland einer der ersten Märkte, die adressiert werden sollten. Für das ganze Thema Automotive und Manufacturing bleibt Deutschland für den Markteintritt in Europa weiterhin ein Schlüsselmarkt. Nach zwanzig Jahren der Zusammenarbeit mit Japanern kann ich außerdem sagen: Trotz der kulturellen Unterschiede gibt es in der Art zu denken und Dinge anzugehen viele Gemeinsamkeiten – beim Thema Qualität zum Beispiel. Dadurch tun sich japanische Unternehmen vielleicht leichter, hier Fuß zu fassen.