Das über 100 Jahre alte Unternehmen japanischen Ursprungs Olympus ist bei vielen noch immer primär für sein Kamerageschäft bekannt. Dass Olympus heute ein erfolgreiches Medizintechnikunternehmen und Weltmarktführer im Bereich der Endoskopie ist, ist der breiten Masse weniger geläufig. J-BIG hat mit Dr. Harald Dremel, dem regionalen Geschäftsführer der DACH-Region, darüber gesprochen, wie sich die Firma von einem breit aufgestellten Unternehmen für Bildgebung zu einem globalen Medizintechnikspezialisten entwickelte, wie das Deutschlandgeschäft in Hamburg seinen Anfang nahm und wie das Produkt- und Servicegeschäft heute aufgestellt ist. Außerdem haben wir uns über die Erwartungen an den künftigen deutschen CEO Stefan Kaufmann in Japan unterhalten. Ach ja, und um Sojasoße ging es auch.

J-BIG: Wie hat es mit Olympus vor über 100 Jahren angefangen?
Harald Dremel: Olympus wurde am 12. Oktober 1919 gegründet. Unter dem Namen „Takachiho Seisakusho“, nach dem japanischen Berg Takachiho, der der Mythologie nach von vielen Gottheiten bewohnt wird. Die Marke „Olympus“ wurde dann 1921 eingeführt, zunächst für Mikroskope, auf die wir uns damals spezialisiert haben. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde die gesamte Firma in Olympus umbenannt – ein klares Zeichen, dass man die Idee eines Berges der Götter auf die internationale Ebene bringen wollte. Zurück zu den Produkten: Nach den Mikroskopen folgten Thermometer – und dann der Schritt in den Bereich der Linsen und Objektive. Unser Schwerpunkt lag also von Anfang an in der Optik, der Bündelung von Bildinformationen und in der optischen Bildgebung; und das ist auch ein wesentlicher Grund, warum wir später in bestimmten Bereichen mit dieser Kernkompetenz so stark geworden sind.
Eine wesentliche Ursache für die weitere Entwicklung des Unternehmens war das verbreitete Vorkommen von Magenkarzinomen in Japan. Dieses wurde mutmaßlich vor allem mit dem hohen Konsum von Sojasoße in Verbindung gebracht. In den 1960er Jahren sollte dieses gesellschaftliche Gesundheitsproblem angegangen werden – und so taten sich Mediziner und die Industrie des Landes zusammen. Unter den Beteiligten waren auch Ingenieure von Olympus, die sich einbrachten und versuchten, eine Lösung für dieses sehr japanische Gesundheitsproblem zu finden.
Mittels Endoskopie ist der Magen vergleichsweise leicht zu erreichen, da eine gerade Strecke vom Hals in die Magenhöhle führt. So entstand die Idee, einen flexiblen Schlauch mit einer Kamera zu bauen. Dieser wurde eingeführt und dann wurden die Bilder zunächst blind geschossen. Das waren damals tatsächlich kleine Mikrofilme in einer Kamera, die durch die Speiseröhre gepasst haben. So hat es mit den Gastrokameras in Japan angefangen. Seinerzeit war das noch so ein bisschen wie Lotterie. Man hat die Kamera ausgelöst und hinterher geschaut, ob etwas abgebildet ist, das die Mediziner bei der Diagnose unterstützen konnte. Im nächsten Schritt haben wir uns dann gesagt: „Das muss doch noch besser gehen.“ Hier kam die Affinität zur Optik von Olympus dazu. Die Lösung, um Licht ins Dunkel zu bringen, war der Glasfaserlichtleiter. Man nimmt hierzu ein Glasfaserbündel, schickt auf der einen Seite Licht hinein und auf der anderen Seite kommt es wieder raus. Die größte Herausforderung dabei ist, dass man die kleinen Glasfasern in der Matrix auf der einen Seite genauso platziert wie auf der anderen Seite. Das hat Olympus schnell beherrscht. Wenn man so will, kann man also den japanischen Verzehr von Sojasauce als den Beginn unseres Erfolgs in der Endoskopie betrachten.

J-BIG: Also hat es für die Lösung eines gesellschaftlichen Problems, das auch noch sehr eng an einem von den Japanern geliebten Thema ist, nämlich Essen, den japanischen Innovationsgeist gebraucht. Heißt, am Anfang stand ein medizinisches Problem und dann hat man geschaut, wie man das technologisch lösen kann. Aber Endoskopie per se hat ja Olympus nicht erfunden. Welche Rolle hat Olympus bei der Entwicklung genau gespielt?
Harald Dremel: Stimmt. Wir waren damals nicht die einzigen, die sich aktiv mit der Forschung und Entwicklung von Endoskopen beschäftigt haben. Aber das, was wir erfunden haben, hat sehr gut funktioniert. Olympus hat sich schon sehr früh intensiv bemüht die Gastrokameras bis zur Perfektion voranzutreiben. Als wir das Produkt dann auf den Markt gebracht haben, standen unsere Konkurrenten vor einem Problem – denn das Ergebnis war hervorragend, und ein solches Endoskop nachzubauen nicht einfach. Unsere Endoskope kamen gut an, und damit haben wir einen Meilenstein setzen können. In der Tat war der Medizinbereich damals für Olympus noch eine Nische neben vielen anderen optischen Anwendungen.
J-BIG: Erzählen Sie uns etwas über den Start des Unternehmens in Deutschland.
Harald Dremel: Mitte der 1960er Jahre war der Start für den Markteintritt in Deutschland, genauer gesagt Hamburg. Ausschlaggebend war die enge Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Japan im Bereich der Medizin sowie Hamburg als internationaler Hafenstandort. Diese hatte auch damit zu tun, dass sich Japan historisch stark an der deutschen Medizin orientierte. Der Aufbau des Studiums und die Ausbildung junger Ärzte basierten stark auf dem deutschen Modell. Als sich dann die Endoskopie in Japan verbreitete, kamen auch in Deutschland die ersten Zentren auf, die sich auf das Thema spezialisierten. Zufällig existierte in Hamburg eine Firma, die Winter & Ibe GmbH, welche für die Urologie starre Endoskope fertigte. Es entstand eine enge Zusammenarbeit, durch die die starre Endoskopie zu unserem bestehenden Portfolio der flexiblen Endoskopie ergänzt wurde. 1975 haben wir mit Winter & Ibe einen Kooperationsvertrag geschlossen und 1979 hat Olympus das Unternehmen mehrheitlich übernommen.

J-BIG: Kann man also sagen, dass der Endoskopiebereich anfangs des Unternehmens im Vergleich zum bereits bestehenden Kamerageschäft eine eher geringe Rolle spielte?
Harald Dremel: Den gab es parallel. Kameras waren immer das Aushängeschild von Olympus. Wir führten eine Reihe von Produkten, die sich gut verkauft haben. Die sogenannte OM-D, eine Spiegelreflexkamera, wurde viel im professionellen Bereich eingesetzt. Für den privaten Gebrauch fertigte Olympus die eher kleinen μ [mju:] Kameras, die weltweit sehr begehrt waren. Auch bei der Entwicklung der Digitalkameras waren wir vorne dabei. Aber der harte Wettbewerbsdruck im Kameramarkt mit immer stärker konkurrierenden Angeboten für Mobiltelefone machte es erforderlich, über alternative Marktansätze nachzudenken, die dennoch zu unserer Unternehmenskultur passten. Dies war der Beginn unserer Transformationsreise – basierend auf unserem erfolgreichen Produktportfolio und unserem Expertenwissen im Bereich Mikroskopie und Medizin. Dieses Vorhaben ist uns sehr gut gelungen, denn wir befinden uns heute auf einem erfolgreichen Weg, ein führendes 100-prozentiges Medizintechnikunternehmen zu werden. Das Geschäft mit Kameras und Mikroskopen für den privaten und industriellen Gebrauch wurde zwischenzeitlich in eigenständige Unternehmen ausgegliedert.
Olympus hat seit 40 Jahren durchgehend einen großen Marktanteil in der Endoskopie, vor allem der flexiblen Endoskopie, von etwa 70 Prozent. Sieben von zehn Krankenhäusern in der DACH-Region werden von uns ausgestattet. Doch obwohl die Endoskopie schon immer ein starkes Rückgrat der Firma gewesen ist: Der normale Bürger und 2C-Kunde nimmt uns immer noch als Kamerahersteller wahr. Und im Krankenhaus hat ein Patient natürlich andere Sorgen, als sich mit dem Hersteller des medizinischen Equipment zu beschäftigen. Das erklärt, warum die Assoziation von Olympus mit Kameras so stark ist.
J-BIG: Wie ist Olympus heute weltweit aufgestellt?
Harald Dremel: Unsere weltweite Zentrale ist im Tokyoter Geschäftsviertel Shinjuku. In Japan haben wir die Entwicklungsabteilungen, verschiedene Serviceseinrichtungen und auch noch echte Manufakturen. Global sind wir in fünf Regionen unterteilt, deren Unternehmenszentralen in 108 Ländern weltweit tätig sind. In Amerika haben wir für Nord- und Südamerika eine Zentrale. Dann gibt es einen starken Bereich für Asien-Pazifik, der aus einem Konglomerat aus verschiedenen großen und kleinen Märkten besteht; und es gibt marktbedingt eine starke Dependance in China. Die Zentrale für die Regionen Europa, Naher Osten und Afrika (EMEA) befindet sich in Hamburg. 2020 erst haben wir mit Stolz unseren brandneuen Olympus Campus bezogen.
Olympus beschäftigt weltweit insgesamt über 31.000 Mitarbeiter. In der Zentrale in Hamburg sowie in den 31 Ländern innerhalb der EMEA-Region sind es 7.800 Mitarbeiter. Langjährige, vertrauensvolle Beziehungen zu unseren Kunden zahlen sich aus. „Olympus“ ist ein Codewort, das Türen öffnet. Wir erhalten Zugang, indem wir den Kontakt zu unseren Kunden kontinuierlich pflegen. Unsere Mitarbeitenden identifizieren sich sehr stark mit dem Ziel von Olympus, das Leben der Menschen gesünder, sicherer und erfüllter zu machen. Das ist wirklich etwas, das unsere Mitarbeiter stolz macht.

J-BIG: Welche Funktionen erfüllen die Mitarbeiter in Deutschland in diesem globalen Gefüge?
Harald Dremel: In unserer Zentrale gibt es 1.200 und an unserem Produktionsstandort 1.300, also insgesamt 2.500 Mitarbeiter, die sich primär im deutschen Markt bewegen oder für das Deutschlandgeschäft zuständig sind. Dadurch, dass Hamburg sowohl die Europa-Zentrale als auch die Zentrale der Deutschland GmbH ist, erfüllen unsere Mitarbeitenden oft mehrere Rollen. Die Europazentrale ist für das Globale, also die Strategie, die Geschäftsentwicklung und die Umsetzung in der gesamten EMEA-Region zuständig. Europa ist wiederum aufgeteilt in verschiedene Cluster. Deutschland, Österreich und die Schweiz bilden ein Cluster. Für diese sogenannte DACH-Region sind 560 Kollegen unterwegs. Das DACH-Team passt die Strategie aus den Zielen und Vorgaben aus dem Produktbereich genauso an, dass das Maximale und Optimale für Deutschland, Österreich und die Schweiz erreicht wird. Und die Deutschland GmbH ist dafür da, dass wir unsere Produkte in Deutschland entsprechend erfolgreich auf den Markt bringen.
Die globale Herstellung von starren Endoskopen passiert hier im Osten von Hamburg.Die flexiblen Endoskope, die den Löwenanteil der Produkte ausmachen, die wir insgesamt verkaufen, stammen aus Japan.

J-BIG: Erfolgt die Entwicklung der starren Endoskope auch in Deutschland oder in Japan?
Harald Dremel: Mittlerweile ist R&D sehr dezentral organisiert. Es gibt einen Bereich, der kümmert sich um die Bildgebung, Video-Prozessoren und Endoskope und es gibt einen Bereich, der kümmert sich um alles, was sich schnell dreht, wie zum Beispiel Biopsie-Zangen, Nadeln und Schlingen. Letzteres hat man in der Nähe von Boston in Amerika verlegt. Dort machen sich die Kollegen Gedanken, was an Zubehör oder in der Therapie an Produkten notwendig ist. Die Abteilung wird TSD, kurz für Therapeutic Solutions Division, genannt. Und in Japan ist die Abteilung für Endoscopic Solutions, kurz ESD. Man hat versucht, ein wenig nach den geschäftlichen Merkmalen der Produkte zu clustern.

J-BIG: Nochmal auf die Produktpalette geschaut: Ihr Fokus ist die Endoskopie, aber sicherlich beschäftigen sich nicht alle 31.000 Mitarbeiter mit Endoskopie?
Harald Dremel: Im weiteren Sinne schon. Wir haben unser Geschäftsmodell und Ziel so entwickelt, dass wir uns komplett mit starrer und flexibler Endoskopie beschäftigen. Die beiden Bereiche sind jedoch durchaus unterschiedlich. Bei der medizinischen Endoskopie wird das Endoskop flexibel gebaut, so dass es sich dem Körper anpasst. Was die Produktpalette betrifft: Wir führen zunächst alles, was mit gastrointestinaler Endoskopie und den Atemwegen zu tun hat. Zusätzlich gibt es einen Bereich für die Aufbereitung von Endoskopen. Die Endoskope werden schließlich immer wieder verwendet und müssen gereinigt werden. Das passiert mit einer Art Geschirrspülmaschine, nur ein bisschen produktspezifischer und professioneller. Die starre Endoskopie hingegen kommt in anderen medizinischen Bereichen zum Einsatz.
Unsere Produkte decken natürlich die Bildgebung als solche ab und umfassen auch die für das medizinische Verfahren erforderlichen Instrumente. Dank unseres breiten Know-hows im Bereich der starren Endoskope sind wir im Bereich z.B. der Urologie und Gynäkologie sehr gut positioniert, ebenso wie durch die flexiblen Endoskope im gastrologischen Bereich. Wir haben auch einen großen Bereich für minimalinvasive Chirurgie, wie die Laparoskopie durch die Bauchdecke. Und dann haben wir noch Produkte für Hals, Nase und Ohren. Und auch hier ist es am Ende des Tages die Optik, die Bildgebung, die ja den Ursprung unseres Unternehmens markiert und weiterhin für alle Produktbereiche relevant ist. Heute bietet Olympus vielseitige medizinische Geräte an, nicht nur Endoskope, sondern auch Geräte für die Endotherapie und chirurgische Geräte, die Fachleuten im Gesundheitswesen bei der Behandlung von rund 100 Krankheiten und Leiden helfen. Außerdem bieten wir Geräte an, mit denen medizinische Fachkräfte die vier häufigsten Krebserkrankungen früh diagnostizieren und behandeln können.
Uns ist dabei sehr wichtig, dass wir kein Spotgeschäft betreiben: Wir verkaufen nicht nur unsere Produkte, sondern bieten auch ein umfangreiches Serviceangebot rund um sie an. Metaphorisch gesprochen sind die von uns verkauften Endoskope mit Autos vergleichbar. Sie müssen gewartet und repariert werden.
Als wir in die Endoskopie eigestiegen sind, waren unsere Produkte für rein diagnostische Zwecke gedacht. Heute sind wir auch vollumfänglich in der Therapie aufgestellt. Wir wollen künftig mehr Produkte für diesen Bereich entwickeln – am besten für minimalinvasive Anwendungen, das heißt maximal schonend. Wenn der Patient nach der Untersuchung oder Therapie direkt nach Hause gehen kann, haben unsere Produkte ihren Zweck erfüllt.
Olympus bemüht sich auch darum, umfassende Schulungen und Trainings für unsere Kunden anzubieten. Die Ausbildung von Ärzten und medizinischem Personal ist schon seit Jahrzehnten ein Fokus, den wir auch dem japanischen Langzeitblick zu verdanken haben. Ziel ist es, allen Anwendern von Olympus Geräten frühze itig Gelegenheit zu bieten, sich mit Endoskopen vertraut zu machen. Dafür haben wir in unserem Olympus Campus in Hamburg ein hoch modernes Trainingszentrum integriert.

J-BIG: Was steht als nächstes an? Gibt es neue Felder, die Sie noch nicht besetzt haben? Was ist die strategische Ausrichtung von Olympus?
Harald Dremel: Es ist tatsächlich vorhersehbar, dass uns in unserem Geschäftsfeld die Patientenzahl eher zunehmen wird. In Anbetracht der demographischen Entwicklung steigt die Lebenserwartung, das heißt die Menschen werden im Durchschnitt älter und früher oder später benötigen die meisten eine endoskopische Untersuchung – und höchstwahrscheinlich kommt dann auch ein Endoskop von Olympus zum Einsatz. Mit der Qualität unserer Produkte und der Hürde, diese zu kopieren, haben wir es ursprünglich geschafft, relativ schnell einen großen Marktanteil und damit auch eine starke Marktpräsenz zu erreichen. Das heißt, wir stehen auf einer stabilen Basis. Man darf nicht vergessen: Endoskopieprodukte als solche sind komplex in der Herstellung und werden auch heute noch zu einem großen Teil in Handarbeit gefertigt. Daher sind unsere Produkte tatsächlich nicht so leicht zu ersetzen.
Jedoch, der Markt wird umkämpfter – nicht nur, weil es mehr Unternehmen darin gibt. Die Entwicklung von den Fiberskopen hin zur Videoendoskopie war ein technologischer Fortschritt, der dazu geführt hat, dass nicht mehr nur der Arzt in den Körper schauen konnte. Früher gab es noch keine kontrollierende Instanz. Durch die Videoendoskopie ist ein Monitor dazugekommen, durch den das anwesende medizinische Personal mitbeobachten kann. Aber der Nachteil, wenn man so will, ist, dass ein Videoendoskop im Vergleich zu einem Fiberskop leichter zu bauen ist. Man braucht einen flexiblen Schlauch, setzt nun am Ende einen Chip ein und dann hat man schon ein Videoendoskop. Aufgrund dieser Weiterentwicklung wird der Markt für viele Firmen mit diversem Hintergrund immer attraktiver. Viele Anbieter produzieren Endoskopiezubehör zudem in Niedriglohnländern.
Und dann entwickelt sich rasant ein neuer Bereich: Nämlich Künstliche Intelligenz. Durch eine neue, hochmoderne Software verfügen die Ärzte über ein Unterstützungssystem, eine Art Versicherung, die im Hintergrund läuft und die sie unterstützt, warnt und begleitet. Neue Technologien bringen natürlich auch neue Akteure auf den Markt. Bisher haben wir es mit der Qualität und der Usability unserer Produkte geschafft, uns gut zu behaupten.

J-BIG: Was sind denn zentrale Faktoren für die Qualität eines Endoskops?
Harald Dremel: Ganz wichtig ist die Auflösung des Bildes. Je schärfer man etwas sieht, je exakter es dargestellt wird, desto hilfreicher ist es für das medizinische Personal. Man muss sich den verschiedenen Körperbereichen anpassen. Die Speiseröhre ist relativ einfach zu erreichen – man nutzt einen kleinen Schlauch. Sobald man in den Magen gelangt, ist es nicht mehr so einfach, denn man muss die große Magenhöhle ausleuchten. Hier werden andere Kaliber verlangt. Man braucht eine Lichtquelle, die sowohl die kleinen Bereiche als auch die „großen Hallen“ gut ins Bild bringt. Auch, wenn das schon immer eine Herausforderung gewesen ist, kann man das heutzutage mit LED viel besser machen. Man braucht allerdings das ganze Bild. Es bringt nichts, wenn ein Teil überstrahlt oder im Dunkeln ist und man nichts erkennen kann. Die hohe Relevanz der Qualität des Bildes hat Olympus immer verstanden.

Ein zweiter zentraler Faktor ist die Handhabung der Geräte. Denn der Körper hat teilweise filigrane und schwierige Stellen. Man will schauen, wo genau ein Merkmal ist, das man vielleicht näher untersuchen will. Man geht z.B. aus dem Magen in den Dünndarm und kann dann in den Gallengang abbiegen, um sich um Steine zu kümmern oder kann auch in die Bauchspeicheldrüse schauen. Das sind die Königsdisziplinen. In vielen dieser Bereiche haben wir Standards gesetzt.
J-BIG: Also ist ein bedeutender Faktor auch die japanische Kultur, die dafür bekannt ist, immer sehr genau darauf zu achten, dass der Kunde zu 100 Prozent zufrieden ist?
Harald Dremel: Sicherlich ist das ein Schlüssel zu unserem nachhaltigen Erfolg. Das erkennt man auch an der engen Kooperation zwischen unseren R&D-Abteilungen und dem Fachpersonal im Gesundheitswesen. Darüber hinaus basiert unsere Unternehmenskultur auf fünf globalen Grundwerten – Zusammenhalt, Empathie, Integrität, Agilität und langfistige Perspektive -, die wir sehr hochhalten, weiterentwickeln und mit unseren Mitarbeitern feiern. Die Praxis des monozukuri, dem Herstellen von Dingen, ist an vielen Standorten außerhalb Japans bekannt.
Aber ich denke, es gibt noch etwas, das für Europa besonders wichtig ist. Wir hatten schon immer einen starken europäischen oder sogar deutschen Fokus und Vertriebsansatz, durch den wir sicherstellen konnten, dass wir das Feedback unserer Kunden sofort erhalten und es auf diese Weise weitergeben. Darüber hinaus fördern und ermöglichen wir internationale Karrierewege, den kulturellen Austausch und das Lernen voneinander. So kommen beispielsweise japanische Mitarbeiter in der Regel für ca. fünf Jahre nach Deutschland und tragen zu Effizienz- und Kulturgewinnen bei, indem sie Teil unseres Teams werden und das Wissen dann nach Japan mitnehmen – und umgekehrt. Diese globale Aktivität macht uns stark und unterscheidet unsere Unternehmenskultur von vielen Wettbewerbern.

J-BIG: Sicherlich hat auch die Gamification – wie im Videospielebereich –, mit der man in Japan aufwächst, einen Einfluss auf die Usability der Produkte?
Harald Dremel: Ja, durchaus! Das hat uns Europäer aber auch vor eine Herausforderung gestellt: Für die Japaner ist es wichtig, dass es auf den Geräten möglichst viele Knöpfe mit tollen unterschiedlichen Funktionen gibt. In Deutschland wünschen sich die Ärzte weniger komplexe Produkte, bei denen die Knöpfe mit den wichtigsten Funktionen direkt erkennbar sind. Wir haben immer darum gekämpft, die Geräte für unsere Kunden in Europa einfacher und intuitiver zu gestalten und diese kulturellen Unterschiede zu versöhnen.
J-BIG: Dadurch, dass es Olympus Europa schon sehr lange gibt, sind Sie an vielen Stellen recht unabhängig von Japan. Wo gibt es die engsten Schnittstellen in der Zusammenarbeit mit der Zentrale in Tokyo?
Harald Dremel: Vor der Corona-Pandemie gab es relativ viele internationale Meetings, für die die Europa- und Amerika-Vertreter in Japan zusammenkamen und zahlreiche Themen besprochen haben. Als Erkenntnis aus der Pandemie, die wir glücklicherweise sehr gut gemeistert haben, organisieren wir diese Meetings nun verstärkt per Videokonferenz. Dies kann eine Herausforderung für eine ganztägige Sitzung sein, da unsere Mitarbeitenden rund um den Globus in unterschiedlichen Zeitzonen arbeiten, was in einigen unserer Regionen immer zu einem frühen Beginn oder späten Ende führt. Wir haben jedoch eine so genannte Meeting Policy eingeführt, um eine gesunde Work-Life-Balance zu unterstützen, und kreative Wege der Zusammenarbeit in interkulturellen Teams und über Zeitzonen hinweg zu ermutigen.
Auch bedeutend bei der Zusammenarbeit mit den Japanern ist die Vertrauensbasis. Vertrauen ist etwas, das langsam wächst und sorgfältig gefördert werden muss. Auch informelle Treffen sind wichtig. Abends, bei einem netten Getränk oder einer Mahlzeit, haben Sie die Möglichkeit, Informationen auszutauschen, die bei formellen Treffen keinen Platz finden. Das bringt sehr viel. Ich bin jetzt fast 27 Jahre bei Olympus und auch viele Kollegen sind schon lange dabei. In Japan fängt man traditionell nach der Uni in einem Unternehmen an zu arbeiten und viele gehen dann auch in der gleichen Firma noch in Rente. Darum spielen Vertrauen und eine lange Zusammenarbeit eine wichtige Rolle.

Außerdem haben wir jetzt eine Reihe von europäischen Managern, die in die Führungsspitze in Japan gegangen sind. Das hilft natürlich, besser und schneller auf unterschiedliche Geschäftsentwicklungen außerhalb Japans reagieren zu können, und eröffnet uns neue Möglichkeiten, die europäische Sichtweise zu vermitteln. Bisher waren die japanischen Kollegen sehr stark von japanischen Kunden beeinflusst. Es liegt auf der Hand, dass die regionalen Teams ihre jeweiligen Kunden am besten kennen, nicht zuletzt aufgrund der Sprachbarrieren. Das versteht die neue Führung sehr gut. Der Erfolg unserer Transformation ist zu einem großen Teil das Verdienst unseres globalen CEO der vergangenen Jahre, Yasuo Takeuchi, dem es gelungen ist, das Unternehmen von Grund auf neu zu gestalten.
J-BIG: Ab April 2023 kommt ein deutscher CEO ins japanische Headquarter. Das könnte sicherlich für Olympus auf globaler Ebene auch noch mal ein ganz besonderes Schlaglicht auf Deutschland werfen, oder?
Harald Dremel: Die Kollegen, die im April in die Chefetage einziehen werden, waren teilweise schon Teil des globalen Management Boards – so auch Stefan Kaufmann, der bald der neue CEO für unser globales Unternehmen wird. Stefan hat definitiv eine Vision für dieses Unternehmen, und ich bin gespannt, wie wir uns in den nächsten Jahren entwickeln werden. Wir haben also ein gutes Vertrauensverhältnis, und ich denke, das wird uns in der Zukunft helfen. Natürlich werden wir ein globales Unternehmen bleiben und weiter wachsen. Letztendlich sind wir ein MedTech Unternehmen, und jeder von uns hat seine Rolle und seinen wichtigen Anteil an der Verfolgung unseres globalen Ziels.

J-BIG: Wie soll sich Olympus künftig entwickeln?
Harald Dremel: Wir sind zwar schon lange ein globales Unternehmen mit vielen Standorten weltweit, aber waren bisher sehr stark regional getrieben. Jede Region hatte ihre eigenen Herangehensweisen und hat das gemacht, was für die Region gut ist. Und da wir stetig gewachsen sind und der Umsatz sich positiv entwickelte, hat das auch gepasst. Auch wenn wir die Weltmarktführer im Bereich der Endoskopie sind, ist der Wettbewerb in den letzten Jahren immer stärker geworden und viele neue Player sind dazugekommen. Darum ist es wichtig, dass wir uns entsprechend nachhaltig aufstellen. Das heißt, wir wollen die Prozesse und Systeme, die bisher von jedem Bereich anders gehandhabt wurden, nun global vereinheitlichen. Das bedeutet nicht „das gesamte Geschäft gleichschalten“, weil wir je nach Standort weiterhin unterschiedlich Produkte anbieten werden. Aber die Abläufe müssen abgestimmt sein.
Ganz am Anfang unserer Transformation hätte sich keiner vorstellen können, dass wir uns mal vom Kamerageschäft trennen würden, da es schließlich einmal unser Gesicht nach draußen war. Vor allem in Japan werden Tradition und Ursprung hochgehalten. Auf dem Kamerageschäft fußt unsere gesamte Geschichte und Entwicklung, und deswegen war die Ausgliederung eine schwere Entscheidung. Jedoch war dieser Schritt auch wichtig – denn durch die Smartphones hat sich die Nachfrage nach Kameras verändert.
Man kann zurecht sagen, dass unsere globale Reorganisation ein großer und gut durchdachter Schritt für unser Unternehmen gewesen ist. Das macht sich auch im Generationswechsel bemerkbar: Es gibt jetzt sichtbare Veränderungen im Top-Management, das Durchschnittsalter sinkt zum Beispiel. Viele unserer traditionellen und interkulturellen Herausforderungen werden adressiert. Wir behalten die Nachhaltigkeit und den zukünftigen Erfolg im Auge und suchen rechtzeitig nach Nachfolgern.
Trotz der aktuellen Veränderungen werden wir weiterhin eine starke Verbindung zu unseren Kunden aufrecht erhalten und unsere Geschäftsbeziehungen intensiv pflegen. Unser Service wird dabei weiterhin eine zentrale Rolle spielen und wir werden unsere Kunden und deren Patienten immer an die erste Stelle setzen, um so unser Ziel zu erfüllen, das Leben der Menschen gesünder, sicherer und erfüllter zu machen. Ich glaube, dass wir mit global gut vernetzten Abläufen zusammen zukünftig noch besser und stärker sein werden. Olympus wirklich global aufzustellen, das ist, glaube ich, die Herkulesaufgabe. Wenn wir uns jedoch weiterhin auf den Wandel einlassen und unser Geschäft kontinuierlich an den Bedürfnissen unserer Kunden ausrichten, werden wir sicherlich erfolgreich die nächsten 100 Jahre unserer Unternehmensgeschichte schreiben.