Vom Reiskocher bis zum Weltraumsatelliten – wenige Unternehmen sind so breit aufgestellt wie Mitsubishi Electric. In Japan allgegenwärtig fliegt der Technologiekonzern hierzulande oft eher unter dem Radar. Wie sehr die Lösungen des Unternehmens mit der weltweit zweithöchsten Zahl an Patentanmeldungen dennoch unseren Alltag prägen, und wie Mitsubishi Electric die Energiewende und die digitale Transformation in Deutschland mitgestaltet, verriet uns Andreas Wagner, CEO von Mitsubishi Electric in Deutschland, im Interview.
J-BIG: Herr Wagner, Mitsubishi Electric ist ein sehr breit aufgestellter Konzern. Wie würden Sie in einem Absatz beschreiben, was das Unternehmen ausmacht?
Andreas Wagner: Mitsubishi Electric ist ein weltweit führendes Technologieunternehmen im Bereich der Elektrik. Die Bandbreite unseres Lösungsportfolios reicht von der Raumfahrt über die Industrie und die Mobilität bis in den Bereich der Gebäudeinfrastruktur und des privaten Wohnens. Seit der Gründung vor hundert Jahren ist es dabei unser Anspruch, Technologien zu entwickeln und anzuwenden, die einen wesentlichen Beitrag für eine nachhaltige Gesellschaft und höchste Lebensqualität leisten – gemeinsam mit und für unsere Kunden.
In Japan spricht man in diesem Zusammenhang heutzutage von „Society 5.0“. Dieser Begriff umfasst unter anderem das Ziel, die Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen durch Digitalisierung und nachhaltige Energieerzeugung und -nutzung zu realisieren. In Europa wird hier häufig der Begriff „Electric Society“ verwendet, den ich sehr gelungen finde. Er beschreibt sehr gut, wie weit und wichtig das Feld der Elektrik ist, welches sich auch in unserem Namen und in der Vielfalt unserer Lösungen wiederfindet.
J-BIG: Gibt es bestimmte Transformationsprozesse oder Branchen, die für Sie im Mittelpunkt stehen?
Andreas Wagner: Drei sehr wichtige Bereiche sind für uns die Energiewende, die digitale Transformation und das breite Thema der smarten Mobilität.
Bei den Energieträgern findet gerade ein Wandel vom Primat der fossilen Energie hin zu nachhaltiger Energieerzeugung statt. Hierzu sind natürlich bestimmte Technologien notwendig, und diese stellen einen wesentlichen Teil unseres Lösungsportfolios dar – ein Beispiel aus dem Bereich Energiegewinnung sind unsere Leistungs-Halbleiter-Lösungen. Ebenso wichtig ist dann im nächsten Schritt die Distribution der erzeugten Energie. Diese muss schließlich zum Verbraucher kommen, und zwar möglichst ohne Verluste. Auch hier sind unsere Lösungen im Einsatz. Wenn wir dann noch etwas weiterdenken, stellt sich die Frage, wie Energie möglichst effizient genutzt werden kann. Das betrifft beispielsweise den Bereich Gebäudetechnologie: Wie klimatisiere ich ein Gebäude energiesparend? Wer heutzutage ein Haus baut oder modernisiert, kommt am Thema Wärmepumpen eigentlich nicht mehr vorbei.
Der Bereich der digitalen Transformation ist sehr breit: Alle Lebensbereiche durchlaufen momentan einen solchen Transformationsprozess. In Deutschland ist aber insbesondere die Industrie ein prominentes Beispiel. Hier ermöglichen wir beispielsweise durch unsere Automatisierungslösungen und den Einsatz von IoT und künstlicher Intelligenz höhere Produktivität, Effizienz und Agilität. Bereiche wie das Edge Computing stellen dabei wichtige Trends dar. Hier arbeiten wir eng mit der deutschen Industrie zusammen, etwa in Form von Kooperationen und Plattforminitiativen.
Auch im Mobilitätsbereich sind wir vielfältig involviert. Einerseits agieren wir bei der Individualmobilität als Lösungsanbieter für die Automobilindustrie; unser Fokus liegt dabei auf der Elektromobilität. Zudem bieten wir Lösungen für hochpräzise Satellitenpositionierung an, welche die autonome Operation sowohl von Straßenfahrzeugen als auch von industriell genutzten Drohnen und landwirtschaftlichen Nutzfahrzeugen entscheidend unterstützten wird. Andererseits sind wir im Bereich der Schiene ein wichtiger Lösungsanbieter, sowohl für die Betreiber der Schienennetze als auch für Wagenbauer in ganz Europa.
J-BIG: Der Bahnverkehr ist ja ein gern zitiertes Beispiel für Dinge, die in Japan besser funktionieren als in Deutschland. Können wir hoffen, dass die Technologien von Mitsubishi Electric hier in Zukunft Besserung bringen werden?
Andreas Wagner: Ich bin mir sicher, dass wir in Deutschland eine positive Entwicklung des Schienenverkehrs sehen werden und die Bahn ein wichtiger Pfeiler der Mobilität der Zukunft wird. Was sicher besser werden muss – und auch besser werden wird – ist der Komfort bei der Bahnreise. Dazu gehören unterschiedliche Aspekte. Die Klimatisierung der Wagons etwa, aber auch Themen, die Reisende zwar nicht unmittelbar wahrnehmen, die sie aber dennoch betreffen. Der Energieverbrauch auf der Schiene ist so ein Beispiel. Hier können unsere Technologien eine deutliche Verbesserung bringen.
Eine weitere Erfahrung, die viele Reisende schonmal machen mussten: Nicht selten fehlt es an relevanten Informationen. Onboard-Informationssysteme, die zeitnah aktuelle Informationen übermitteln, sind in Japan Standard, in Europa aber bisher die Ausnahme. Auch in diesem Bereich sind wir tätig. Hier ist damit zu rechnen, dass wir in den nächsten Jahren eine Verbesserung erleben werden.
J-BIG: Das Beispiel Schiene zeigt, dass die Lösungen von Mitsubishi Electric für den Endanwender nicht unbedingt sichtbar sind. Gibt es noch andere Beispiele, wo wir im Alltag mit dem Unternehmen in Berührung kommen?
Andreas Wagner: Ja, die gibt es. Die meisten Menschen interagieren tagtäglich unzählige Male mit unseren Produkten – oftmals ohne es zu merken.
Ein Beispiel: Wenn Sie in der Früh das Licht anschalten, war vermutlich eine unserer Lösungen an der Erzeugung oder Verteilung des Stroms beteiligt. Sie überprüfen morgens als erstes Ihre E-Mails? Technologie von Mitsubishi Electric ist in mehrerlei Hinsicht ein wichtiger Faktor für stabile Internetverbindungen. Wir stellen nicht nur Satelliten her, sondern auch optische Devices, die die Anbindung an Datenzentren sicherstellen. Ein zunehmend wichtiger Bereich ist in diesem Zusammenhang übrigens auch die Klimatisierung von Datenzentren; ein Wachstumsfeld für uns. Dann nehmen Sie vielleicht den Zug zur Arbeit, und auch hier sind unsere Lösungen an unterschiedlichen Stellen im Einsatz.
Diese Liste lässt sich endlos fortsetzen; Elektrik ist in unserem Leben allgegenwärtig. Ich glaube, wir können durchaus behaupten: Ohne unsere Produkte würde die Welt wahrscheinlich stillstehen – allein, weil sie in so vielen Bereichen Anwendung finden. Unsere Technologien stehen aber im Regelfall nicht für sich alleine, sondern sind Teil der Gesamtlösung.
J-BIG: Unterscheidet sich das Lösungsportfolio in Deutschland und Japan?
Andreas Wagner: Nur in Akzenten. Grundsätzlich messen wir allen Bereichen die gleiche Bedeutung zu, auch wenn sie natürlich in Bezug auf das Umsatzvolumen in den Märkten unterschiedlich dimensioniert sind. Ein wichtiger Aspekt ist allerdings, dass wir unsere Lösungen selbstverständlich den jeweiligen Kunden- und Marktbedürfnissen anpassen.
J-BIG: Sehen sie Mitsubishi Electric eher als deutsches oder als japanisches Unternehmen?
Andreas Wagner: Die historischen Ursprünge des Unternehmens liegen in Japan. Dort wurde Mitsubishi vor 150 Jahren als Logistikunternehmen im Schifffahrtsbereich gegründet; daraus entwickelten sich wiederum eine Reihe von „Mitsubishi-Unternehmen“ – darunter auch Mitsubishi Electric. Das war vor ziemlich genau 100 Jahren. Wir feiern dieses Jahr unser Jubiläum und befinden uns gerade in den Vorbereitungen, wenn auch Corona-bedingt in einem etwas anderen Maßstab als ursprünglich geplant.
Die deutsche Niederlassung wurde 1978 gegründet, ganz klassisch als Vertriebsstandort. Damals waren es drei Mitarbeiter, heute arbeiten etwas mehr als 700 Personen in der deutschen Niederlassung. Und auch die Aufgaben haben sich im Laufe der Zeit deutlich verändert. Wir definieren uns heute nicht mehr als reine Vertriebsgesellschaft oder Zweigniederlassung eines japanischen Unternehmens. Als Teil der Mitsubishi Electric Europe B.V. sind wir zudem sehr eng und zentral in das europäische Netzwerk eingebunden. Wir sehen uns als Teil eines globalen Unternehmens, mit starken Wurzeln in Deutschland und Europa und einer Historie, die in Japan ihren Anfang nahm.
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J-BIG: Wie sieht die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Japan heute aus? Gibt es kulturelle Herausforderungen?
Andreas Wagner: Die enge Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Japan spielt für uns eine ganz wichtige Rolle. Es ist eines unserer in der Praxis bewährten Prinzipien, in Projekten grenzüberschreitend in integrierten Teams zusammen zu arbeiten.
Die Basis hierfür legen wir durch frühzeitige interkulturelle Trainings für alle neuen Mitarbeiter. Eine große Zahl der Kolleginnen und Kollegen, die hier vor Ort arbeiten, verbringen auch eine gewisse Zeit in Japan, um die Mentalität und die Kollegen vor Ort kennenzulernen. In gleicher Weise haben wir hier Kollegen aus Japan, die teils über mehrere Jahre hinweg in Deutschland oder Europa arbeiten. Das hat bei uns bereits eine lange Tradition, und wir empfinden das als extrem wichtig. Interkulturelle Missverständnisse haben bei uns daher eher etwas Anekdotenhaftes. Wir erleben das in unserem Arbeitsalltag eigentlich nicht mehr.
„Absolute Offenheit und Transparenz in der Kommunikation sind die Voraussetzung für Vertrauen. Das habe ich immer als ganz fundamental in der Zusammenarbeit empfunden.“
J-BIG: Haben Sie Tipps für Mitarbeiter und Unternehmen, bei denen diese Integration noch nicht so gut funktioniert?
Andreas Wagner: Das Allerwichtigste aus meiner Sicht: Zuhören. Sich die Zeit nehmen, das Gesagte aufzunehmen, zu reflektieren und gegebenenfalls nochmal zu bestätigen. Absolute Offenheit und Transparenz in der Kommunikation sind die Voraussetzung für Vertrauen. Das habe ich immer als ganz fundamental in der Zusammenarbeit empfunden. Jede Form von Miteinander basiert auf Vertrauen, das ist ein Geben und Nehmen.
J-BIG: Wie ist Ihre Haltung zu typischen Ratgebern à la „10 Tipps im Umgang mit Japanern“?
Andreas Wagner: Die Basis sind grundlegendere Dinge –eine bestimmte Haltung und Attitüde. Ich bin allerdings keineswegs dagegen, auf kulturelle Unterschiede oder Besonderheiten aufmerksam zu machen. Diese zu kennen, gehört für mich zum achtsamen Umgang mit anderen Kulturen. Aber die Sorge, durch zufällige Verstöße etwas Negatives zu erfahren, ist meiner Erfahrung nach unbegründet, wenn beide Parteien vertrauens- und verständnisvoll miteinander umgehen.
J-BIG: Zu guter Letzt: Welche Bedeutung spielt der deutsche Markt für Mitsubishi Electric? Gibt es hier Aspekte, die man für andere japanische Unternehmen verallgemeinern kann?
Andreas Wagner: Zunächst ist der deutsche Markt schon allein durch seine Dimension relevant. Deutschland stellt gemessen am Bruttoinlandsprodukt die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt dar – direkt nach Japan. Darüber hinaus ist Deutschland eingebunden in den Binnenmarkt der europäischen Union und darüber auch global sehr gut vernetzt. Dazu kommt: Deutschland ist auch ein hoch dynamischer Markt, der sich, wie auch der japanische, in einer fundamentalen Transformation befindet. Die Energiewende, die digitale Transformation und die smarte Mobilität sind Themen, die beide Gesellschaften bereits jetzt maßgeblich prägen. Aus der Möglichkeit, diese Transformation gemeinsam zu gestalten, ergibt sich die besondere Bedeutung des deutschen Marktes.