Als Experte für Onkologie und Kardiologie kämpft Daiichi Sankyo gegen die häufigsten Todesursachen in Deutschland und Europa: Schlaganfall, Herzinfarkt und Krebs. Das aus einer Fusion hervorgegangene japanische Pharmaunternehmen entwickelt innovative Medikamente und Therapieansätze. J-BIG sprach mit Dr. Martina Witzel, Leiterin der Onkologie Deutschland, und Benoit Creveau, Geschäftsführer von Daiichi Sankyo Deutschland, über die Herausforderungen eines global agierenden japanischen Pharmaunternehmens, seinen Visionen für die Zukunft – und über die deutschen Wurzeln des Unternehmens.
J-BIG: Was ist jeweils Ihre Geschichte mit Daiichi Sankyo?
Dr Martina Witzel: Ich bin seit September 2020 bei Daiichi Sankyo – in München, wo sich unsere deutsche Niederlassung und die Europazentrale befinden. Angefangen habe ich in der europäischen Organisation, wo ich für die Bereiche Lungen- und Magenkrebs für unsere Onkologieabteilung verantwortlich war. Als „Executive Director Lung/GI Cancer“ hatte ich das Privileg, ein kleines Team zu leiten, das sich um Marktforschung, Markenplanung und Markteinführung kümmerte. Nach der Gründung des Geschäftsbereichs im vergangenen Jahr hatte ich die Möglichkeit, als „Head of Oncology Germany“ in die deutsche Organisation zu wechseln, was bedeutet, dass ich die Verantwortung für das gesamte Onkologiegeschäft in Deutschland übernommen habe.
Benoit Creveau: Meine Geschichte mit dem Unternehmen ist anders. Ich habe vor 15 Jahren in der Europazentrale von Daiichi Sankyo angefangen, zwei Jahre nach der Fusion von Daiichi und Sankyo. Ich arbeitete zunächst in verschiedenen Marketingfunktionen und hatte nicht damit gerechnet, so lange bei ein und demselben Unternehmen zu bleiben. Aber bei Daiichi Sankyo habe ich etwas Besonderes gefunden: die Möglichkeit, etwas Neues aufzubauen und weiter zu wachsen. Wir sind ein lernendes Unternehmen und das gibt einem die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln. Wenn ich meine Zeit hier beschreiben müsste, würde ich sagen, es ist wie die japanische Kirschblütenzeit – nur dass sie nie endet, sondern immer weiter blüht!
Nach einiger Zeit im Unternehmen habe ich eine spezielle Geschäftseinheit in Deutschland übernommen, die sich auf Kardiologie konzentriert. Außerdem bin ich Geschäftsführer von Daiichi Sankyo Deutschland. Das ist in zweierlei Hinsicht eine Premiere: Für mich persönlich ist es das erste Mal, dass ich in einer deutschen Organisation arbeite, und ich bin auch der erste Geschäftsführer, dessen Muttersprache nicht Deutsch ist.
J-BIG: Sie haben bereits die Fusion erwähnt, aus der Daiichi Sankyo hervorgegangen ist. Können Sie uns etwas mehr über die Ursprünge des Unternehmens erzählen – und welche Rolle ein deutsches Unternehmen dabei gespielt hat?
Benoit Creveau: Das Unternehmen ist im Wesentlichen ein Zusammenschluss der beiden Unternehmen Sankyo und Daiichi. Sankyo wurde 1899 gegründet und stellte zunächst Enzyme, Adrenalin und Vitamine her. So entdeckte das Unternehmen beispielsweise als erstes das Vitamin B1 in Reiskleie. 1990 übernahm Sankyo das Familienunternehmen Luitpold-Werk in München. Das 1910 gegründete Unternehmen hatte sich auf rezeptfreie Arzneimittel spezialisiert und war vor allem für seine Schmerzsalbe bekannt. Das Luitpold-Werk selbst befand sich ganz in der Nähe unseres heutigen Standorts, nur die Straße runter, hatte aber auch eigene Produktionsstätten in Pfaffenhofen. Für Sankyo ging es bei der Übernahme vor allem darum, in Deutschland einen Fuß in die Tür zu bekommen.
Daiichi wurde 1915 gegründet und stellte Medikamente gegen Syphilis, Asthma, Tuberkulose und blutstillende Mittel her. Interessanterweise unternahmen Daiichi und Sankyo im selben Jahr ihre ersten Schritte in Europa und Deutschland: Daiichi brachte 1985 ein Antibiotikum in Westdeutschland auf den Markt, Sankyo eröffnete im selben Jahr Niederlassungen in Düsseldorf und in den USA. Beide Unternehmen wählten Deutschland als Tor nach Europa – unabhängig voneinander, aber vermutlich aus den gleichen Gründen. Es gibt definitiv eine Verbindung zwischen Japan und Deutschland, wenn es um Innovation und das Streben nach Perfektion geht, insbesondere was Forschung und Entwicklung betrifft.
J-BIG: Also kamen beide Unternehmen nach Deutschland. Was geschah danach?
Benoit Creveau: 2002 brachte Sankyo ein Medikament zur Behandlung von Bluthochdruck auf den Markt. Das Produkt wurde in Deutschland und den USA vermarktet und trug maßgeblich zur Etablierung des Unternehmens auf dem deutschen Markt bei. Zu diesem Zeitpunkt war Daiichi in Europa, zumindest im Bereich der Kardiologie, noch nicht sehr präsent. Im Jahr 2005 fusionierten Sankyo und Daiichi. Dieser Zusammenschluss war für beide Unternehmen sehr vorteilhaft: Es ergaben sich viele Synergien bei Produkten und in der Forschung und Entwicklung. Gemeinsam konnten sie eine stärkere kommerzielle Präsenz mit einem größeren internationalen Potenzial aufbauen. Das kardiologische Portfolio ist seit der Fusion entsprechend gewachsen – und wächst weiter.
Weltweit beschäftigen wir heute rund 17.000 Mitarbeiter, in Europa sind es knapp 2.000 in vierzehn Ländern. Davon sind fast 400 auf den deutschen Markt konzentriert, aber noch viel mehr arbeiten hier in der Europazentrale in München. Zusammen mit unserem Produktionsstandort in Pfaffenhofen arbeiten in Deutschland fast 1.800 Menschen für uns. Auf dem deutschen Markt setzen wir rund 650 Millionen Euro um – als ich vor 15 Jahren angefangen habe, waren es 100 Millionen. Wir sind hier also rasant gewachsen, vor allem durch die Erweiterung unseres Portfolios. Wir haben mit einem Kernprodukt angefangen, dann in die Kardiologie expandiert und schließlich in die Onkologie investiert. Heute sind wir ein Franchise-Unternehmen mit diesen beiden Standbeinen.
J-BIG: Stehen die Kardiologie und die Onkologie im deutschen und europäischen Umfeld im Vordergrund oder ist dies auch der globale Fokus?
Benoit Creveau: Darauf gibt es keine allgemeine Antwort. In der Kardiologie sind wir in Asien und Mittelamerika, Japan und Europa präsent, aber nicht in den USA.
Dr Martina Witzel: Die Onkologie ist globaler. So wurde beispielsweise ein Brustkrebsmedikament in 45 Ländern auf den Markt gebracht – es handelt sich also wirklich um ein globales Produkt. Das ist auch unser Ziel für die Zukunft: ein globales Unternehmen und ein Global Player in der Onkologie mit wachsendem Einfluss zu werden. Bisher sind wir in 14 Ländern in Europa aktiv, in Brasilien und in den größten asiatischen Märkten wie Singapur und China. Ganz anders ist die Situation in Japan selbst, wo Daiichi Sankyo ein sehr bekanntes und etabliertes Unternehmen ist. Wir haben dort ein ganz anderes Produktportfolio als in Europa oder den USA.
J-BIG: Welche Produkte sind in Europa nicht erhältlich, spielen aber in Japan eine wichtige Rolle?
Benoit Creveau: Das japanische Portfolio ist insgesamt viel vielfältiger, auch weil viele Unternehmen gerne mit Daiichi Sankyo zusammenarbeiten, um Zugang zum japanischen Markt zu erhalten. Wir haben viele kleine Produkte, aber auch größere Flaggschiffe, bei denen wir versuchen, sie zu globalen Produkten zu machen. Das ist nicht immer möglich, aber der Trend geht eindeutig in Richtung globale Markteinführung.
J-BIG: Könnten Sie die beiden Bereiche Onkologie und Kardiologie aus der Sicht des Patienten erläutern?
Dr Martina Witzel: Onkologie ist ein weites Feld. Derzeit konzentrieren wir uns auf Brust-, Magen- und Lungenkrebs. In Deutschland wird jährlich bei etwa 70.000 Frauen Brustkrebs diagnostiziert, viele davon in einem frühen, heilbaren Stadium. Einige von ihnen entwickeln jedoch später Metastasen, das heißt, die Krankheit breitet sich auf andere Teile des Körpers aus. Dann ist die Krankheit nicht mehr heilbar, aber das Leben kann mit Medikamenten verlängert werden, manchmal um viele Jahre. Unser Ziel ist es, diese zusätzliche Lebenszeit so angenehm wie möglich zu gestalten, damit die Patienten noch viel Zeit mit ihren Familien und Freunden verbringen können.
J-BIG: Wenden wir uns nun der Kardiologie zu. Mit welchen Krankheiten haben Ihre Patienten in diesem Bereich zu kämpfen?
Benoit Creveau: In der Kardiologie kommen wir aus einer anderen Richtung und arbeiten mehr an der Prävention. Wir wollen verhindern, dass das Leben unserer Patienten und ihrer Angehörigen überhaupt in Gefahr gerät. Das gilt für die beiden Hauptrisikofaktoren, an denen Menschen sterben: Schlaganfall und Herzinfarkt. Die Schwierigkeit bei unserer Arbeit besteht darin, dass diese Medikamente 10 bis 15 Jahre vor einem solchen Ereignis eingenommen werden müssen. Prävention ist also der Schlüssel, und wir müssen die Patienten davon überzeugen, unsere Medikamente einzunehmen, damit es gar nicht erst zu einem solchen Ereignis kommt.
Mehr als 2,5 Millionen Menschen in Europa nehmen derzeit unsere Medikamente ein. 65 Prozent aller Todesursachen in Europa und Deutschland sind heute kardiologisch oder onkologisch bedingt. Aber nur wenige Menschen wissen, dass Herzerkrankungen die häufigste Todesursache in Europa sind. Deshalb ist Prävention so wichtig, aber auch so schwierig.
J-BIG: Lassen Sie uns über die Produktentwicklung sprechen: Findet die gesamte Forschung in Japan statt?
Dr Martina Witzel: Der Großteil der präklinischen Forschung findet in Japan statt. In Deutschland untersuchen wir die Verträglichkeit neuer Medikamente zum Teil vor Ort in unserem Gewebe- und Zellforschungszentrum in Martinsried bei München. Sobald wir mit Studien mit Patienten beginnen, machen wir das vor Ort in den Kliniken, auch in Deutschland. In den klinischen Prüfzentren wird dann unser Medikament gegen das Standardmedikament getestet, indem die Patienten nach dem Zufallsprinzip einer der beiden Behandlungsgruppen zugeordnet werden. Das sind in der Regel Studien mit mehreren hundert Patienten.
Klinische Studien finden weltweit statt, was von großer Bedeutung ist. Geografische und ethnische Faktoren spielen bei der Entwicklung und Wirkungsweise von Medikamenten eine wichtige Rolle. Beispielsweise werden Herz-Kreislauf-Medikamente in Japan anders entwickelt als in Europa. Das liegt an den Unterschieden im Stoffwechsel der Menschen in Asien, Afrika, Europa, dem Kaukasus und Amerika. So benötigen Japaner häufig niedrigere Dosen von Medikamenten, so dass wir in klinischen Studien selten die gleiche Dosis für Europa und Japan verwenden und registrieren können. Auch das Auftreten und die Ausprägung bestimmter Krebsarten sind nicht überall gleich – Magenkrebs ist ein Beispiel dafür. Das kann von Krankheit zu Krankheit und von Medikament zu Medikament variieren, was bei klinischen Studien unbedingt berücksichtigt werden muss.
J-BIG: Wie erleben Sie die Verbindungen und die kulturelle Integration zwischen den europäischen und deutschen Tochtergesellschaften und Japan?
Dr Martina Witzel: Dieses Jahr habe ich zum ersten Mal die Zentrale in Japan besucht, und es war eine wirklich bereichernde Erfahrung. Wir wurden sehr herzlich empfangen, obwohl Japan oft für seine Förmlichkeit bekannt ist. Wir hatten die Gelegenheit, direkt mit dem CEO und dem Vorstand zu sprechen, die sich für jeden Zeit nahmen. Daiichi Sankyo entwickelt sich immer mehr zu einem globalen Unternehmen und hat auch eine globale Kulturinitiative gestartet. Man konnte spüren, wie ernst es ihnen damit ist und wie viel hier schon geschehen ist. Hinter all diesen Bemühungen steht das Versprechen, Patienten mit neuen Medikamenten zu versorgen, deren Bedarf noch nicht gedeckt werden konnte. Diese Verantwortung treibt uns an, in Japan wie in Europa.
Benoit Creveau: Ich bin fast jedes Jahr in Japan, und jedes Mal, wenn ich dorthin fahre, stelle ich kleine Veränderungen und ein wachsendes Interesse an der Globalisierung fest. In den letzten 15 Jahren hat sich eine Menge getan! Ich sehe, dass sich Japan mehr und mehr öffnet und sich kulturellen Aspekten und Bräuchen anpasst, die in Europa und den USA wichtig sind. Auch die Rolle der japanischen Expats hat sich verändert: Früher kamen hauptsächlich ältere und erfahrenere Mitarbeiter nach Deutschland, um mehr über das europäische Geschäft zu erfahren. Aber sie blieben eher in der Rolle des Beobachters. Jetzt habe ich in meinen Teams viele Leute, die unter 30 sind und sehr aktiv mitarbeiten. Zwei meiner besten Vertriebsmitarbeiter kommen zum Beispiel aus Japan! Ich denke, die Art und Weise, wie wir zusammenarbeiten, und die Integration von Expats haben sich stark verändert. Ich habe den Eindruck, dass vor allem die jüngeren Generationen viel offener und weltoffener sind.
Dr Martina Witzel: Wir haben derzeit etwa 40 Expats aus Japan in Deutschland. Einer von ihnen ist Mitglied meines Teams. Wir bemühen uns sehr um den internationalen Austausch und darum, ihn zu integrieren und ihm Erfahrungen mit dem europäischen Markt zu vermitteln.
J-BIG: Wie arbeiten Sie im Alltag mit der japanischen Zentrale zusammen?
Benoit Creveau: Auf der Managementebene gibt es einen regen Austausch mit Japan, vor allem wenn es um spezielle Projekte geht. Generell genießen die Regionen außerhalb Japans jedoch ein hohes Maß an Autonomie. Als Daiichi Sankyo beschlossen hat zu expandieren, war das eine bewusste Entscheidung. Im Vergleich zu traditionellen japanischen Unternehmen haben wir daher nur sehr wenige Berichtspflichten und wenig täglichen Druck aus Japan, solange wir unsere Ziele erreichen. Wir sind jetzt dabei, uns zu einem Global Player zu entwickeln.
Dr Martina Witzel: Ein gutes Beispiel für diese regionale Stärke ist unser Standort Pfaffenhofen. Vielleicht haben Sie in den Nachrichten gesehen, dass Lieferengpässe bei Pharmazulieferern immer wieder ein Problem sind. Unser Werk in Pfaffenhofen und sein Ausbau sind auch ein Bekenntnis zu Europa und zu Deutschland. Wir wollen hier einen Standort für Antikörper-Wirkstoff-Konjugate (ADC) aufbauen, damit wir in Zukunft keine Engpässe mehr riskieren und unseren Auftrag, Europa mit Medikamenten zu versorgen, erfüllen können.
J-BIG: Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?
Dr Martina Witzel: Ich sehe eine glänzende Zukunft für uns in der Onkologie. Wir werden in den nächsten Jahren viele weitere Produkte auf den Markt bringen und hoffentlich das Behandlungsparadigma für Krebspatienten verändern. Unser Forschungszentrum in Martinsried, in dem wir Tumorzellen untersuchen, wird uns dabei helfen. In Deutschland wollen wir zu den drei am schnellsten wachsenden Onkologie-Unternehmen gehören.
Gleichzeitig hoffen wir, dass unser japanisch-deutscher Hintergrund Brücken bauen und uns helfen kann, ein wichtiger Akteur zu werden. Unser japanisches Erbe wollen wir in Zukunft noch stärker betonen.
Benoit Creveau: Auch wenn mir als Franzose ein wenig das Herz blutet, muss ich sagen: Deutschland ist heute der attraktivste europäische Markt für die Pharmaindustrie. Das war nicht immer so. Wir haben mehrere mittelfristige Pläne, der jüngste ist unsere Vision 2030. Ich will hier nicht zu sehr ins Detail gehen, aber eine Aussage unseres CEO Manabe-san sticht für mich heraus: „Ein Unternehmen, das nur am Gewinn interessiert ist, wird nicht erfolgreich sein.“ In diesem Sinne konzentrieren wir uns auch auf Nachhaltigkeit und leisten einen Beitrag zum Wohlergehen der Gesellschaft. Ich glaube, das unterscheidet uns von anderen Pharmaunternehmen. Vielleicht liegt es auch an unseren japanischen Wurzeln. Unsere Mitarbeiter schätzen diese Philosophie und sie ist einer der Gründe, warum sie so lange bei Daiichi Sankyo bleiben.