Seit 2014 leitet Matthias Kohlstrung die Geschicke der Brother International GmbH in Deutschland und Österreich. Eine Zeit, in der sich die Druckindustrie deutlich gewandelt hat und so einige Herausforderungen meistern musste. Mit J-BIG sprach er über die Anfänge des Unternehmens, die Werte, die den Brother-Konzern leiten, und die Zukunft einer teils gebeutelten Branche.
J-BIG: Den Namen “Brother” assoziiert man nicht unbedingt mit einem japanischen Unternehmen. Wie kam es zu dieser Namensgebung?
Matthias Kohlstrung: Die Erklärung ist zunächst recht simpel: Das Unternehmen wurde 1908, also vor 113 Jahren, von Kanekichi Yasui gegründet, und zwar als Reparatur-Werkstatt für Nähmaschinen. Um die Strohhüte, die auf japanischen Reisfeldern zum Einsatz kamen, herzustellen, brauchte man spezielle Nähmaschinen, allesamt Importware. Diese gingen immer an der gleichen Stelle kaputt und wurden in seiner Werkstatt repariert. Irgendwann dachten sich seine Söhne – die Brüder Masayoshi und Jitsuichi Yasui: “Das muss doch auch besser gehen”, und machten sich prompt daran, eine eigene Nähmaschine zu entwickeln. Das war 1928.
Damals hieß das Unternehmen allerdings noch nicht Brother, sondern “Yasui Nähmaschinenwerk”. Das junge Unternehmen baute zunächst Singer-Nähmaschinen in Lizenz für den japanischen Markt, bis die Firma schließlich eigene Nähmaschinen entwickelt, gebaut und global verkauft hat. Mit diesem Geschäft sind wir groß geworden, und noch heute sind wir einer der zwei größten Nähmaschinenhersteller der Welt. In Deutschland ist dieser Geschäftszweig eher unbekannt, aber in Japan kennt man uns auch heute in erster Linie als Nähmaschinenproduzent.
Dass das Unternehmen heute Brother heißt, hat mit dem Zweiten Weltkrieg zu tun: Als Verbündeter der Deutschen hatten Japan und japanische Unternehmen nach 1945 einen schweren Stand, vor allem in wichtigen Überseemärkten wie den USA. Es gibt einige Beispiele für japanische Unternehmen, die in der Nachkriegszeit ihren Namen in etwas Internationaleres geändert haben: die Matsushita Corporation zum Beispiel, die dann auf einmal Panasonic hieß. Bei der Namensfindung hat man sich an die Geschichte der zwei Brüder zurückerinnert, und schon war der neue Name gefunden: Brother. Simpel, positiv assoziiert und zeitlos, und das hat sich bewährt. Auch das Logo stammt aus den späten 70er Jahren und ist seitdem völlig unverändert.
J-BIG: Wie gelang der Sprung von Nähmaschinen zu Druckern und Scannern?
Matthias Kohlstrung: Wir haben unser Wissen über die Mechanik von Nähmaschinen genutzt, um in andere Bereiche vorzustoßen. Im Brother-Museum in Nagoya sieht man beispielsweise ein Motorrad. Es gab also Versuche, in den Mobilitätsbereich vorzustoßen. Auch Opel hat übrigens als Nähmaschinenhersteller angefangen – das wissen viele gar nicht. Eine weitere Richtung war der Haushaltsgeräte-Bereich, wo wir beispielsweise Mikrowellen entwickelt haben. Besonders viel Potenzial sah man aber im Büromaschinenmarkt und darauf konzentrierten sich dann auch die Entwicklungsanstrengungen. Zunächst waren das Schreibmaschinen oder Tischrechner. Das war auch der erste Schritt in Richtung Elektronik, und daraus entwickelte sich schließlich der Bereich Drucker, Scanner und Multifunktionsgeräte.
Anfangs gab es übrigens keine klare Unterscheidung zwischen dem privaten und industriellen Gebrauch – weder bei Näh- noch bei Schreibmaschinen. Mit der zunehmenden Industrialisierung und Spezialisierung entwickelte sich das natürlich deutlich auseinander, aber Brother bedient auch heute noch beide Segmente, etwa bei den Nähmaschinen: Von der Nähfabrik in Bangladesch bis zur Hobby-Näherin in Bonn findet jeder bei uns ein passendes Modell.
J-BIG: Das Motto von Brother ist “at your side”. Was bedeutet das genau?
Matthias Kohlstrung: Dieser Claim ist der Kern unserer Unternehmensphilosophie und zugleich eine konkrete Handlungsdirektive. Im Kern bedeutet er eigentlich, dass der Mensch, der Stakeholder, immer im Zentrum unseres Tuns steht. Das lässt sich auf die verschiedensten Bereiche übertragen: Wenn ein Kunde ein Problem hat, ist er darüber vermutlich verärgert und wird vielleicht auch mal ungehalten. Unsere Aufgabe ist es, ihm das Gefühl zu geben, dass wir sein Problem ernst nehmen und gemeinsam an einer echten Lösung arbeiten. Das gleiche gilt für Shareholder, Mitarbeiter, Händler oder die lokale Community hier in Bad Vilbel: Wir möchten Menschen das Gefühl geben, dass sie nicht nur eine Nummer im System sind, sondern dass wir uns engagieren und tatsächlich an ihrer Seite stehen.
Das klingt vielleicht etwas esoterisch oder hochtrabend, aber das ist es am Ende gar nicht. Den Gründern war es immer wichtig, Menschen in Lohn und Brot zu kriegen: Arbeitsplätze zu schaffen und zufriedene Kunden und Mitarbeiter zu haben. Es war nie das primäre Bestreben, möglichst viel Geld zu verdienen. Wenn man den Fokus allerdings konsequent auf den Anwender richtet und ihm hilft, eine Lösung für ein konkretes Problem zu finden, dann kommen Erfolg und Wachstum automatisch. Robert Bosch hat mal gesagt: “Ich bin nicht reich geworden, weil ich meinen Mitarbeitern so geringe Löhne zahle, sondern weil ich ihnen gute und hohe Löhne zahle.” Das ist auch der Gedanke hinter der Brother-Philosophie. Am Ende sind wir natürlich trotzdem kein Wohltätigkeitsverein, sondern ein auf Gewinn ausgerichtetes Unternehmen. Aber wir nehmen diesen Anspruch sehr ernst. Nur so sind wir in der Lage, wieder zu investieren und noch bessere Produkte zu machen, noch bessere Wege zu gehen. Unsere Firmenphilosophie “Globale Charta” haben wir immer zur Hand, und in schwierigen Situationen überprüfen wir stets, ob unser geplantes Vorgehen auch wirklich zu unserer Philosophie passt.
J-BIG: Wie äußert sich das konkret beim Endkunden?
Matthias Kohlstrung: Auch wenn wir kein Endkundengeschäft im klassischen Sinne betreiben, stehen die Anwender natürlich im Mittelpunkt unseres Tuns. Wenn sie mit unseren Produkten oder dem Service nicht zufrieden sind, bringt es nichts, wenn wir unseren Händlern die Lager vollstellen. Im indirekten Vertrieb haben wir zwei Möglichkeiten, die “at your side”-Philosophie an den Endkunden weiterzugeben.
Einerseits setzen wir hier auf die Händler und Reseller: Wir sind überzeugt, dass das partnerschaftliche Verhalten, das wir unseren Händlern entgegenbringen, auch an den Endkunden weitergetragen wird.
Der zweite Weg führt über Maßnahmen und Service-Leistungen, von denen der Anwender unmittelbar profitiert. Das beste Beispiel ist hier unsere 3-Jahres-Garantie, mit der wir in unserer Branche bereits seit 2003 einzigartig sind. Egal, wo ein Kunde ein Brother-Produkt gekauft hat, wir als Hersteller stellen eine Garantie für drei Jahre aus. Das gibt ihm Sicherheit, denn wenn ein legitimer Garantiefall auftritt, kann er sich immer an uns wenden. Nach der aktuellen Gesetzgebung gilt zwar eine Gewährleistung für zwei Jahre, aber nach den ersten sechs Monaten muss der Kunde nachweisen, dass der Fehler nicht schon beim Kauf bestand. Das ist natürlich extrem schwer und eine klare Benachteiligung der Kunden. Da haben wir gesagt: Das passt nicht zu unserer Vorstellung von “at your side”, da gehen wir als Unternehmen eigene Wege.
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J-BIG: Wann und wie gelang der Schritt von Japan nach Deutschland? Wie war die Entwicklung vor Ort?
Matthias Kohlstrung: Die Expansion nach Übersee startete mit Amerika, aber bereits 1958 folgte der Schritt nach Europa. Die ersten Adressen waren hier Dublin und vor allem Manchester zehn Jahre später – damals war die Stadt eine Agglomeration von Nähmaschinen-Fabriken, und das war noch immer das Hauptgeschäft von Brother. Man kaufte Anteile an einem zu dieser Zeit erfolgreichen Nähmaschinenhersteller namens Jones, der später vollständig übernommen wurde. Noch heute ist unsere Europazentrale in Manchester. Von dort aus breitete man sich dann recht schnell über ganz Europa aus – das erste Deutschlandbüro wurde 1962 in Hamburg eröffnet; zwei Jahre später folgte der Umzug nach Frankfurt wegen der besseren Anbindung nach Japan. Direktflüge nach Fernost gab es zu dieser Zeit ja noch nicht, und die Verbindung über Anchorage war von Frankfurt aus besser. Damals waren wir elf Mitarbeiter.
Richtig Fahrt nahm das Geschäft dann in den 70er Jahren auf, was sicher auch mit dem Umzug nach Bad Vilbel 1974 zusammenhängt. Zu dieser Zeit waren wir 35 Mitarbeiter und haben ein Lager, die Verwaltung und eine Werkstatt aufgebaut – alles, was zu so einem Unternehmen eben dazugehört. Eine ganze Zeit lang sind wir kontinuierlich gewachsen. In den 90er Jahren kauften wir noch ein weiteres Gebäude hinzu und 1991 überschritten wir erstmals die Marke von 200 Millionen DM Umsatz. Das war auch das Jahr, in dem ich zum Unternehmen gekommen bin, und es gab erstmal eine große Feier, mit Mary Rose auf der Bühne und allem Drum und Dran. Wenn es ums Feiern geht, war Brother noch nie knauserig, und wir freuen uns alle schon, wenn wir die Einweihung unseres neuen Gebäudes, in das wir im Juli 2020 gezogen sind, endlich gebührend feiern können.
Natürlich gibt es in der Chronologie auch Rückschläge und Einbrüche. Durch die Wiedervereinigung sind wir zunächst extrem gewachsen – im Osten hatte fast niemand eine Schreibmaschine, das führte zu einer kleinen Renaissance. Insgesamt steckte Deutschland aber schon in der Krise, und ein paar Jahre später – etwa 1993 oder 1994 – gab es eine Art Zäsur. Der Schreibmaschinenmarkt brach ein, und das Geschäft mit Druckern oder Faxgeräten war noch nicht fortgeschritten genug, um das zu kompensieren. Das war ein harter Schlag, der auch einige Konsolidierungsmaßnahmen zur Folge hatte.
Danach haben wir einiges neu aufgestellt und darauf geachtet, nachhaltiger zu denken und zu wirtschaften – also eigentlich typisch japanisch. Wir kamen aus einer Zeit des kontinuierlichen Wachstums und sind davon ausgegangen, dass das immer so weitergeht – das hatte sich gerächt, und wir haben daraus gelernt. Bis zur Krise war es beispielweise so, dass jeder Geschäftsführer und jede Niederlassung nach eigenem Gutdünken schalten und walten konnte. Das wurde alles modernisiert und umstrukturiert, und 2000 waren wir dann wieder auf Wachstumskurs. Ende der 90er gab es ein starkes Wachstum im Bereich Drucker und Multifunktionsgeräte im Umsatz, aber wir haben den Fehler der Vergangenheit nicht wiederholt und das Mitarbeiterwachstum sehr stetig und kontinuierlich betrieben. 2002 haben wir beispielsweise die Logistik komplett outgesourct, weil wir selbst das nicht mehr leisten konnten. Wir haben aber trotzdem keinen Mitarbeiter entlassen, sondern entsprechend umgeschult und in andere Bereiche integriert, ganz im Sinne der “at your side”-Philosophie. Das war natürlich nur möglich, weil wir zuvor nicht übermütig geworden sind und es tatsächlich an anderen Stellen Platz für diese Mitarbeiter gab. Der Ansatz war sehr erfolgreich, und die meisten der ehemaligen Logistik-Mitarbeiter sind in anderer Rolle beim Unternehmen geblieben.
„In manchen Situationen ist es nach wie vor am einfachsten, ein Dokument auszudrucken. Unsere Aufgabe liegt darin, herauszufinden, welche Situationen das sind und hier die richtigen Lösungen anzubieten.“
J-BIG: Wie haben sich in dieser Zeit die Technologien und Produkte weiterentwickelt?
Matthias Kohlstrung: Unser Vorgehen war immer, auf die Bedürfnisse der Anwender zu schauen und auf dieser Basis zu überlegen, welche Technologien und Vorgehen sinnvoll sind. Ich sage immer: Wenn Kartoffeldruck sinnvoll wäre, dann würden wir auch das im Portfolio anbieten.
Ein gutes Beispiel ist der Faxbereich: Wir sind hier erst Ende der 80er Jahre eingestiegen, als einer der letzten Anbieter. Das wurde natürlich sehr belächelt, noch dazu, weil wir mit der Thermotransfermethode an den Start gingen, was damals als veraltete Technologie galt. Wir waren aber der Überzeugung: Dem Kunden ist es am Ende egal, welche Methode verwendet wird, solange das Fax in der gewünschten Qualität ankommt. Da wir Thermotransfer sehr gut beherrschten und hier auch einige Patente hatten, konnten wir den Kunden eine sehr attraktive und kostengünstige Lösung anbieten. So haben wir unseren Weg im Fax-Bereich gemacht. Auf dieser Basis kamen dann neue Technologien hinzu, die den Thermotransfer nach und nach abgelöst haben. Erst Thermosensitiv-Druck, dann Laser und Ende der 2000er schließlich Tinte. Der Nähmaschinen-Bereich wurde ausgegliedert, dafür kam der österreichische Markt dazu. Auch hier gehen wir ganz im japanischen Sinne Schritt für Schritt vor.
In den letzten Jahren hat uns vor allem beschäftigt, wie wir das Unternehmen effizienter machen können, und wo neue Potenziale für unser Geschäft liegen. Corona hat der Druckindustrie teilweise wieder einen Aufschwung gegeben, aber langfristig rechnen wir damit, dass die Nachfrage nach klassischen Druckern und Multifunktionsgeräten sinken wird. Das Druckvolumen wächst nicht – das ist einfach so, und das kann man sich auch nicht schönreden. Da müssen wir uns natürlich fragen: Was bedeutet das für unser Geschäft?
Zunächst gehen wir davon aus, das auch weiterhin gedruckt wird, wenn auch in kleinerem Umfang. Es ist nämlich keineswegs so, dass die älteren Semester alles ausdrucken und die Jungen nur noch digital unterwegs sind. In manchen Situationen ist es nach wie vor am einfachsten, ein Dokument auszudrucken. Unsere Aufgabe liegt darin, herauszufinden, welche Situationen das sind und hier die richtigen Lösungen anzubieten.
J-BIG: Das heißt, für Sie spielt es eine Rolle, warum Leute eigentlich drucken?
Matthias Kohlstrung: Ja, ganz genau. Vor 20 Jahren war das relativ klar: Im Büro stand ein zentraler Drucker, der von allen Mitarbeitern genutzt wurde. Das waren teilweise riesige Maschinen, die alles konnten, außer Kaffee kochen. Unternehmen haben sich angeschaut, wo möglichst viele Mitarbeiter oft entlanglaufen, und dort wurde der Drucker platziert. Das war eine Philosophie des Zentralismus. Auch die EDV hat das unterstützt – nicht zuletzt aus einer gewissen Bequemlichkeit heraus. Wenn es einen Papierstau gibt, oder der Toner gewechselt werden muss, kümmert sich schließlich die EDV darum, und man hat versucht, die Anzahl der Servicefälle zu reduzieren, indem man die Geräte zentralisiert. Unser Geschäft bestand darin, ein Gerät zu verkaufen und über dieses Einzelgerät ein möglichst hohes Druckvolumen zu erzielen – und damit möglichst viel Verbrauchsmaterial zu verkaufen.
Nun haben sich die Zeiten aber geändert und ein Drucker ist heute bei weitem nicht mehr so teuer wie vor 20 Jahren. Gute Geräte für den Heimgebrauch bekommt man heute für 150 bis 200 Euro – für die meisten Haushalte ist das keine Investition, die ein großes Loch in die Finanzen reißt. Zugleich sind die Löhne in der Regel gestiegen, und damit natürlich auch die Lohnkosten für Unternehmen. Was ist also teurer? Die Arbeitszeit, die der Mitarbeiter mit dem Gang zum Drucker und zurück verbringt, oder das Druckgerät, das ich im Zweifelsfall allen an den Arbeitsplatz stelle? Wir sagen ganz klar: Langfristig sind es auf jeden Fall die Lohnkosten. Es ist wesentlich günstiger, hundert Drucker im Gebäude zu haben, als hundert Mitarbeiter zu einem Drucker laufen zu lassen. Zumal das Thema Reparatur und Service bei heutigen Druckern eigentlich vernachlässigbar ist. Wir sind deshalb absolute Vertreter des dezentralen Arbeitsplatzes.
Das Homeoffice bringt da natürlich nochmal eine weitere Komponente mit rein; eine Art Zwangs-Dezentralisierung. So divers die Druckanforderungen heute sind, so divers müssen auch die Lösungen aussehen. Es ist vielleicht nicht sinnvoll, dass im Büro und im Homeoffice die gleichen Drucker stehen, aber beide Geräte müssten trotzdem miteinander funktionieren und vielleicht sogar vernetzt sein. Dann kann ein Mitarbeiter einen Ausdruck direkt aus dem Homeoffice ins Corporate Office schicken, oder andersherum. Natürlich muss man dann Wege finden, wie man verhindert, dass private Dokumente aus Versehen auf dem Office-Drucker gedruckt werden, aber auch hier gibt es schon sinnvolle Ansätze.
Ein weiterer Ansatz ist, dass wir Drucker zunehmend gar nicht mehr verkaufen, sondern gewissermaßen verleihen. Gezahlt wird dann nach einem Pay-Per-Print-Modell, oder es gibt eine monatliche Pauschale. Im Prinzip bewegen wir uns hier in eine ähnliche Richtung wie der Mobilitätssektor mit seinen Leasing- und Car-Sharing-Modellen: Weg vom persönlichen Besitz und hin zur verbrauchsgerechten Nutzung. Wir glauben, dass der Nutzer schon genau weiß, was er wann drucken will, und das müssen wir ihm ermöglichen.
J-BIG: Wohin geht die Reise für Brother, und wie differenzieren Sie sich vom Wettbewerb?
Matthias Kohlstrung: Nehmen wir das Beispiel Kyocera, die Sie ja auch bereits für J-BIG interviewt haben. Momentan sind wir klare Wettbewerber, aber vielleicht wird das in einigen Jahren gar nicht mehr der Fall sein. Es gibt eine starke Diversifizierung in der Druckerbranche: Unternehmen wie Kyocera fokussiert sich stark auf digitales Dokumentenmanagement und Software; der Drucker als Hardware ist dabei nur noch eine Komponente.
Wir haben uns bewusst für einen anderen Weg entschieden: Auch bei uns werden Apps und Software natürlich zunehmen, aber sie dienen immer ganz klar dem Zweck, zu drucken oder zu scannen. Dabei decken wir auch nicht höchstspezifische Anforderungen oder Anwendungen ab, sondern versuchen, uns im Mittelfeld anzusiedeln – auch preislich. Nicht das billigste, nicht die teure Spezialanfertigung, sondern das, was etwa 80 Prozent der Leute brauchen und erwarten.
Ein etwas speziellerer Bereich, der für uns immer wichtiger wird, ist das Thema Labelling, also letztendlich Etikettendruck. Hier sind wir mit unserer P-Touch-Serie Marktführer, und wir dürfen uns damit rühmen, den elektronischen Etikettendruck quasi erfunden zu haben. Denken Sie beispielswese an Klingelschilder: Der Markt war beherrscht von Dumont, sie kennen vielleicht diese Prägezangen-Methode, wie man es heute noch bei alten Klingelschildern aus den 60er oder 70er Jahren sieht. Das Verfahren ist aber recht aufwendig. Da dachten wir uns: Das muss doch auch besser und einfacher gehen, und haben kurzerhand eine eigene Lösung entwickelt.
Auch das unterscheidet uns von einigen Wettbewerbern: Wenn wir ein neues Produkt oder eine neue Anwendung entwickeln, haben wir immer den Anspruch, die Nummer 1, 2 oder 3 in diesem Bereich zu werden und mindestens 10 Prozent Marktanteil zu ergattern. Damit einher geht ein hoher Qualitätsanspruch, den wir dadurch aufrechterhalten, dass wir unsere Produkte selbst produzieren. Überall, wo Brother draufsteht, ist auch Brother drin. Wir wollen die Wertschöpfungskette komplett selbst abbilden und den Qualitätsprozess von Anfang an kontrollieren.
Beim Etikettendruck gelingt uns das als Marktführer sehr gut. 2015 wurde der Etiketten- und Auszeichnungshersteller Domino Teil der Brother-Gruppe. Die Geräte dieser Firma werden beispielsweise zum Bedrucken von Flaschen oder Hühnereiern verwendet. Chargennummern für Medikamente sind ein weiteres gutes Beispiel, oder Versandetiketten auf Paketen. All das sind Anwendungen, die so schnell nicht verschwinden werden, und hier sehen wir für Brother großes Potenzial. Wer den Untergang des Druckgeschäfts herbeiredet, hat einen zu engen Blick auf die Branche und konzentriert sich zu stark auf den klassischen Papierdruck. Der Druck ist nicht vom Aussterben bedroht, er verlagert sich nur in neue Bereiche
J-BIG: Drucken muss sich immer wieder den Vorwurf einer Ressourcenverschwendung gefallen lassen. Wie gehen Sie mit diesem Thema um?
Matthias Kohlstrung: Natürlich spielt dieses Thema eine Rolle für uns, und wir versuchen auch intern nur dann zu drucken, wenn es wirklich sinnvoll oder notwendig ist. Zugleich bin ich der Überzeugung, dass wir den CO2-Fußabdruck des Druckvorgangs mit ein paar Anpassungen deutlich reduzieren können – mit recyceltem Papier oder entsprechenden Toner-Kartuschen zum Beispiel. Seit 2007 betreiben wir eine Aufbereitungsanlange in der Slowakei, in der wir Kartuschen, die aktuell im Markt sind, zurückholen und wieder befüllen. Eine Kartusche kann bis zu 345-mal wiederverwendet werden, bevor sie geschreddert und neu gegossen werden muss. Unserer Meinung nach sind wir momentan noch immer der einzige Hersteller, der das tatsächlich so macht. Andere versuchen zwar auch, Kartuschen aus dem Markt zurückzukaufen, aber nur, damit sie kein anderer unsachgemäß neu befüllen kann – in der Regel werden gebrauchte Kartuschen dann vernichtet. Unsere Rücksendequoten sind sehr hoch, allein 1,6 Millionen Stück im letzten Geschäftsjahr, davon 39 Prozent aus Deutschland und Österreich. Das klappt so gut, weil wir es den Nutzern so einfach wie möglich machen: Wir stellen kostenlose Rücksendeetiketten bereit, und der Karton, in dem die Kartusche gekauft wurde, kann zum Rückversand verwendet werden.
Wesentlich mehr als der Druck von Dokumenten fällt bei uns – wie bei vielen anderen Unternehmen – aber ein ganz anderes Thema ins Gewicht: Der Reiseverkehr, den beispielsweise unser Außendienst täglich bewältigen muss. Tatsächlich haben wir uns selbst ein ambitioniertes Ziel gesetzt: Wir wollen als erster Anbieter unsere Vertriebsorganisation weltweit CO2-neutral machen. Und zwar nicht, indem wir ein Zertifikat kaufen oder ein paar Bäume pflanzen. Nicht zuletzt während der Corona-Zeit hat sich gezeigt, dass es nicht immer nötig ist, persönlich vor Ort zu sein – ich kann meine Kunden auch anders sehr gut betreuen. Wo eine Anreise nötig ist, können wir auf eine E-Auto-Flotte wechseln, ein BahnCard-Konzept etablieren, oder sogar eine Mischung aus beidem. Wir fangen aktuell an mit Hybridfahrzeugen und haben auch schon erste Ladesäulen auf dem Gelände installiert. Nicht nur für den Außendienst, sondern auch für Mitarbeiter, die pendeln. Wenn wir dann noch sicherstellen können, dass der Strom, den wir beziehen, aus grünen Quellen kommt, haben wir schon viel erreicht. Das kostet vielleicht etwas mehr, aber es ist eben auch wirkungsvoll.
J-BIG: Wieviel von dem, was Sie erzählt haben, steuern Sie direkt aus Deutschland? Wie läuft die Abstimmung mit Japan?
Matthias Kohlstrung: Unser Headquarter sitzt in Nagoya; darüber hinaus sind wir in Regionen aufgeteilt: Asien wird aus Singapur gesteuert, Nordamerika aus New Jersey, und Europa eben aus Manchester. Darüber hinaus gibt es natürlich Niederlassungen in den einzelnen Märkten. Soweit zur grundsätzlichen Organisation. Die Produktion ist quer über die Welt verteilt, vorwiegend aber in Südostasien, also Vietnam, China, Malaysia und den Philippinen. Die Entwicklung wiederum liegt vollständig in Nagoya – hier werden in den geheimen Kammern die Patente ausgeheckt.
Wir kümmern uns hier vor Ort schwerpunktmäßig um Marketing und Vertrieb, und zwar für Deutschland und Österreich. Zu unseren Aufgaben gehört es auch, den Service zu organisieren. Das heißt nicht zwangsläufig, dass wir alle Service-Anfragen selbst lösen, aber wir sind natürlich die Ansprechpartner und gegebenenfalls die Vermittler nach Japan, wenn ein Problem nicht vor Ort behoben werden kann. Wir sind für den deutschen und österreichischen Markt verantwortlich, und nicht in allen Märkten gelten die gleichen Bedingungen. Die 3-Jahres-Garantie beispielsweise gilt speziell in Deutschland und Österreich; in anderen Ländern setzt man kulturell bedingt eher auf ein erweitertes Garantie-Modell im Sinne einer Art Versicherung. Hier sind wir frei, durchzusetzen, was am besten zum lokalen Markt passt.
Natürlich spielt auch die Marktforschung eine große Rolle in unserer täglichen Arbeit. Wir sind dazu da, Trends zu erkennen, aufzubereiten und Feedback an das Headquarter zu geben. Als größte Einzelgesellschaft in Europa haben wir dabei auch ein gewisses Gewicht. Gemeinsam machen Deutschland und Österreich ungefähr ein Drittel des Umsatzes in Europa aus. Global gesehen liegen wir damit zwar hinter Amerika, aber wir gehören auch hier zu den größten Einzelgesellschaften
Der Austausch ist deshalb sehr eng: Wenn Japan über ein neues Produkt nachdenkt, befragt man zunächst die wichtigen Märkte nach ihrer Einschätzung zu Marktpotenzial und so weiter. Wir organisieren dann Fokusgruppen, anonyme Befragungen und Gespräche mit unseren Resellern – da wird die ganze Klaviatur der Marktforschung ausgespielt. Danach kommen Tests oder kleine Pilotprojekte, und all das fließt in den Entwicklungsprozess in Japan ein. Ich bin sehr froh über diesen engen und direkten Austausch und das Vertrauen, das den Märkten entgegengebracht wird.
Wir sind weltweit etwa 39.000 Mitarbeiter, in Europa sind es etwas mehr als 1.100. Das ist überschaubar, man kennt sich im Großen und Ganzen. Die Dimensionen sind eher die eines guten Familienunternehmens als eines Milliarden-Konzerns mit entsprechenden Hierarchien und Strukturen. Auch innerhalb Europas werden Erfahrungen und Wissen ausgetauscht. Persönlich finde ich das sehr angenehm – es ist kein Zufall, dass ich dieses Jahr mein dreißigstes Firmenjubiläum feiere. Auf meinem Weg habe ich dabei ganz unterschiedliche Stationen durchlaufen, und da bin ich kein Einzelfall. Auch das ist ja eigentlich typisch für japanische Unternehmen und hilft, die Leute aus ihren Silos zu holen und breiter zu entwickeln. Natürlich ist das erstmal arbeitsintensiv, da man die gleichen Personen immer wieder einlernen muss. Aber es lohnt sich, wenn die Mitarbeiter dann tatsächlich lange im Unternehmen bleiben. Bei Brother ist das überdurchschnittlich oft der Fall, würde ich sagen. Die durchschnittliche Zugehörigkeit aller Mitarbeiter hier in Bad Vilbel liegt aktuell bei knapp 17 Jahren, bei jährlich fünf bis zehn neuen Mitarbeitern. Davon sind knapp 26 Prozent Frauen, und der Frauenanteil bei Führungskräften liegt bei 27 Prozent. Wie viele Unternehmen in der IT-Branche haben wir hier etwas Schwierigkeiten, aber wir haben in den letzten Jahren bewusst daran gearbeitet und die Entwicklung war sehr positiv.
J-BIG: Wie haben Sie als Unternehmen die Corona-Zeit erlebt?
Matthias Kohlstrung: Das Großprojekt 2020 war bei uns eigentlich der Umzug in unsere neuen Büro-Räumlichkeiten. Wir sind bereits seit den 70er Jahren in Bad Vilbel und waren dort zunächst auf einem Gelände von grob 24.000 Quadratmetern angesiedelt. Unser Gebäude wurde allerdings auf beiden Seiten flankiert von der Hassia, einem der größten Privatbrunnen in Deutschland. Dort gab es seit langem Kapazitätsprobleme und wir waren gewissermaßen der Korken auf der Flasche. Man war schon seit Jahren im Gespräch über einen möglichen Verkauf und 2020 kam man schließlich zusammen und einigte sich.
Der Termin beim Notar war am 7. Februar, also kurz vor dem ersten Lockdown. Das hat bei uns natürlich gewisse Unsicherheiten ausgelöst: Sollen wir wirklich jetzt umziehen? Können wir Abstandsregeln und so weiter einhalten? So ein Umzug ist immer ein großes Projekt und die Corona-Situation hat viele Dinge natürlich erschwert. Wir haben uns dann entschieden, den tatsächlichen Umzug an einem Wochenende im Juli zu machen, wo die Situation gerade wieder etwas entspannter war. Und im Nachhinein muss ich sagen: Das war absolut die richtige Entscheidung. Das neue Gebäude ist viel moderner und spiegelt Brother als Unternehmen deutlich besser wider als der etwas in die Jahre gekommene Bau aus Waschbeton. Auch was Bewerber betrifft, war das ein echter Nachteil – das Gebäude passte einfach nicht zu uns und vermittelte ein verstaubtes, in der Vergangenheit verhaftetes Bild. Das ist kein Arbeitsplatz, an dem die Talente von morgen sich wohlfühlen. Wenn ich heute in unsere Empfangshalle komme, habe ich immer das Gefühl, ich bin an einem Flughafen-Terminal und auf dem Weg Richtung Zukunft. Auch wenn dieses Gebäude schon 20 Jahre alt ist, verkörpert es die Brother-Kultur sehr gut: eine offene und transparente Architektur, die Kommunikation und Austausch fördert. Wir fühlen uns hier sehr wohl.
J-BIG: Hat sich die Pandemie auch auf Ihr Geschäft und interne Strukturen ausgewirkt?
Matthias Kohlstrung: Definitiv. Wie bei den meisten japanischen Unternehmen beginnt unser Geschäftsjahr im April, der letzte Monat war also geprägt von den Effekten des ersten Lockdowns. Überall gingen die Leute ins Homeoffice und es musste noch schnell die entsprechende Hardware gekauft werden. Eine Zeitlang waren unsere Lager wie leergefegt, und wir hatten eines der besten Umsatzergebnisse unserer Geschichte.
Zugleich machte sich natürlich auch bei uns eine große Unsicherheit breit, wie es weitergehen würde und wie wir unsere Leute gut durch die Krise bekommen. Unsere allerhöchste Priorität als Unternehmen war es natürlich, die Sicherheit und die Gesundheit unserer Mitarbeiter zu schützen. Das war völlig klar und auch von ganz oben so kommuniziert. Wir haben so gut es ging versucht, die Entwicklungen zu antizipieren und den Dingen einen Schritt voraus zu sein. Bei uns waren beispielsweise die meisten Mitarbeiter schon im Januar oder Februar 2020 im Homeoffice und mit Notebooks und allem nötigen Equipment ausgestattet. Wo nötig haben wir noch Trainings durchgeführt und das VPN-Netzwerk ausgiebig getestet. Als es zum Lockdown kam, waren wir also gut vorbereitet.
Während der ersten Homeoffice-Phase waren wir im engen Kontakt mit unseren Mitarbeitern und haben kontinuierlich überprüft, was funktioniert und was nicht. Gegen Ende August wurde beispielsweise deutlich, dass durch das 100-prozentige Homeoffice doch Manches nicht mehr optimal lief. Wir haben deshalb auf ein ABC-Schichtsystem umgestellt, in dem die Mitarbeiter wochenweise im Wechsel wieder ins Büro kamen. Im Oktober sind wir dann zu einem “Modus plus” gegangen. Das heißt im Extremfall waren Mitarbeiter maximal zweimal im Monat im Büro. Das war zu einer Zeit, als die Diskussion um Homeoffice-Pflicht gerade erst im Kommen war. Auch das ist letztendlich ein Ergebnis unserer “at your side”-Philosophie: Unsere oberste Verpflichtung besteht gegenüber den Menschen, in diesem Fall also unseren Mitarbeitern und deren Gesundheit. Das gilt im Alltag, aber natürlich erst recht in Krisenzeiten. Ich bin stolz, dass wir diesem Anspruch auch in einer sehr herausfordernden Situation gerecht geworden sind und nun alle gemeinsam in eine hoffentlich positive Zukunft blicken können.