Asahi Kasei ist einer der führenden integrierten Chemiehersteller Japans und hat seinen europäischen Hauptsitz in Düsseldorf. Wir sprachen mit Hideki Tsutsumi, Präsident von Asahi Kasei Europe, darüber, wie das Unternehmen seit seiner Gründung vor fünf Jahren zur Zukunft der deutschen Automobilindustrie beiträgt, über aktuelle und zukünftige Projekte sowie über die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland und Japan.
J-BIG: Herr Tsutsumi, wie würden Sie die Asahi Kasei Unternehmensgruppe und ihr Geschäft beschreiben?
Hideki Tsutsumi: Wir sind in drei Geschäftsfeldern tätig: Materialien, Wohnungsbau und Gesundheitswesen. Im Bereich Materialien reicht unser Portfolio von Basischemikalien bis hin zu funktionalen Kunststoffen und Folien – Batterieseparatoren etwa, oder Frischhaltefolien und sogar Textilien. Über Asahi Kasei Microdevices (AKM), einen Weltmarktführer für Technologien wie elektronische Kompasse in Smartphones und anderen Anwendungen, bieten wir auch Materiallösungen wie Halbleiter oder ganze Batterien an. Tatsächlich hat unser Honorary Fellow, Dr. Akira Yoshino, die Lithium-Ionen-Batterie (LIB) erfunden und wurde dafür 2019 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet. Wir stellen solche Batterien nicht selbst her, aber wir steuern die äußerst wichtigen Separatorfolien bei.
Im Housing-Segment bauen und sanieren wir Häuser, bieten Immobilienprodukte wie unsere Marke Hebel Haus an und verkaufen Porenbeton und Dämmstoffe. Dieser Bereich macht 33 Prozent unseres Gesamtumsatzes aus und konzentriert sich hauptsächlich auf Japan, aber auch der US-Markt wächst. In Europa hingegen ist dieses Geschäft kaum präsent – und das wird sich auch auf absehbare Zeit nicht ändern. Traditionelle japanische Häuser sind maßgeblich aus Holz gebaut. In Japan sind Naturkatastrophen sehr häufig; bei einem Erdbeben reduziert Porenbeton die Belastung auf das Gebäude. Das Hebel Haus entstand, als wir 1967 die Porenbetontechnologie der deutschen Firma Hebel einführten. In Europa sind gemauerte Gebäude weniger anfällig und können lange bewohnt werden. Ein Haus, das vor 50 Jahren gebaut wurde, mag hierzulande nicht als besonders alt gelten, aber in Japan würde es sicher zu den älteren Häusern zählen. Mit anderen Worten: Japan zeichnet sich durch einen kurzen Zyklus des Wiederaufbaus aus, und jedes Mal entstehen dadurch neue Geschäftsmöglichkeiten.
Ein Wachstumsbereich für Asahi Kasei ist die Gesundheitsbranche, also Arzneimittel und medizinische Geräte. Typische Produkte sind hier etwa lebensrettende Defibrillatoren. Wir haben in diesem Bereich auch Niederlassungen in Europa gegründet, wie Asahi Kasei Medical Europe in Frankfurt und Asahi Kasei Bioprocess Europe in Brüssel.
J-BIG: Was können Sie uns über die Geschichte von Asahi Kasei erzählen?
Hideki Tsutsumi: Asahi Kasei wurde im Jahr 1922 von Shitagau Noguchi gegründet. Nachdem er 1896 seinen Abschluss an der Universität Tokyo gemacht hatte, fing er bei der Tokyoter Niederlassung des deutschen Siemens-Konzerns an. Zehn Jahre später gründete er ein Energieversorgungsunternehmen. Seitdem nahm er mutig neue Herausforderungen an und entwickelte eine Vielzahl von Firmen. Eine davon war die Asahi Fabric Co., Ltd, der Vorläufer des heutigen Asahi Kasei. Das Unternehmen stellte Rayon her, eine recycelte Faser, die Kunstseide ähnelt. Im Jahr darauf wurde in Nobeoka eine Anlage zur Herstellung von synthetischem Ammoniak eröffnet; 1931 führte das Unternehmen die von einem deutschen Unternehmen entwickelte Technologie zur Herstellung von Bemberg-Cupro-Textilien ein, einem hochwertigen Material, das aus Baumwoll-Linters gewonnen wurde. Die Ursprünge unseres Unternehmens liegen also im textilen und chemischen Bereich.
Nächstes Jahr feiern wir unser 100-jähriges Bestehen, und heute beschäftigen wir weltweit mehr als 40.000 Mitarbeiter. Unser Hauptsitz befindet sich in einem Bürogebäude in Tokyo mit Blick auf den Hibiya Park, direkt neben dem Kaiserpalast. Wir haben bereits ein großes Netzwerk in Asien aufgebaut, um eine weitere globale Expansion zu ermöglichen.
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J-BIG: Wie sieht Ihre eigene Historie bei Asahi Kasei aus?
Hideki Tsutsumi: Ich kam 1983 zu Asahi Kasei. Dort begann ich meine Karriere im Vertrieb und arbeitete 15 Jahre lang in verschiedenen Projekten, hauptsächlich in Japan und im asiatischen Raum. Nach einem sechsjährigen Aufenthalt in Singapur wechselte ich zu einem Joint Venture in Japan, wo ich für das Petrochemie- und Kunststoffgeschäft verantwortlich war. Im Jahr 2016 habe ich das deutsche Büro mit aufgebaut, wo ich bis heute als Präsident von Asahi Kasei Europe tätig bin.
J-BIG: Wie haben Sie die deutsche Niederlassung aufgebaut und wie hat sich diese entwickelt?
Hideki Tsutsumi: Asahi Kasei Europe wurde 2016 in Düsseldorf mit dem Ziel gegründet, unser Geschäft in den Automobil- und Umweltbereich auszuweiten. Davor wurden alle Geschäfte im Materialbereich von separaten operativen Gesellschaften in verschiedenen europäischen Ländern – Belgien, Frankreich oder Deutschland etwa – abgewickelt. Anfangs waren die marktbezogenen und finanziellen Ressourcen begrenzt, das Volumen war klein, und die potenziellen Kunden waren hauptsächlich Unternehmen aus der Automobilindustrie. Deshalb schlug ich der Unternehmensleitung in Japan vor, die Geschäfte an einem Standort zu konsolidieren. So entstand unser erstes Büro in Düsseldorf.
Unser Ziel war es zunächst, das Werkstoffgeschäft auf die Automobilindustrie auszuweiten. In den letzten fünf Jahren haben wir uns darauf konzentriert, OEMs und Tier-1-Kunden unseren Future Value (FV) zu präsentieren, indem wir für unsere Produktpalette warben. Diese deckt ein breites Spektrum an Leistungsanforderungen aus den Bereichen Textil, Elektronik und Kunstsoffe ab. Wir präsentierten auch Beispiele von anderen Projekten, etwa mit Toyota und Honda in Japan. Vor der Corona-Krise nahmen wir außerdem an Ausstellungen und Messen teil. Nach und nach forderten die OEMs zunehmend Materialmuster von uns an. Wir haben viel Zeit und Mühe investiert, um ihnen die Werte, die vielfältige Produktpalette und die Technologien, die Asahi Kasei zu bieten hat, bewusst zu machen.
Jetzt, im sechsten Jahr, können wir auf eine gute und vertrauensvolle Beziehung zu unseren Kunden bauen. Wir glauben, dass wir unsere ursprünglichen Ziele weiterhin verfolgen und auch erreichen können. Im März dieses Jahres wurden Asahi Kasei Europe und Asahi Kasei Microdevices Europe, die bisher in Düsseldorf ansässig waren, sowie das europäische F&E-Zentrum in Dormagen an einen neuen Standort im Düsseldorfer Hafen verlegt, um die drei Funktionen Vertrieb, Marketing und F&E stärker zu integrieren.
Asahi Kasei Europe startete 2016 mit rund 30 Mitarbeitern, die hauptsächlich für das Marketing zuständig waren. Derzeit beschäftigen wir mehr als 100 Mitarbeiter. In ganz Europa verzeichnete die Gruppe im vergangenen Geschäftsjahr einen Umsatz von rund 900 Millionen Euro. Der Umsatz in Deutschland macht etwa 60 Prozent des Europageschäfts von Asahi Kasei aus.
J-BIG: Wie wird sich die wachsende Nachfrage nach Elektrofahrzeugen auf Ihr Unternehmen auswirken?
Hideki Tsutsumi: In den letzten Jahren hat die Automobilindustrie eine große Welle des technologischen Wandels erlebt. Während es immer noch viele OEMs gibt, die sich hauptsächlich auf konventionelle Motoren konzentrieren, gibt es auch eine zunehmende Nachfrage nach einem elektrifizierten Antriebsstrang. Die OEMs in Japan und Europa nutzen derzeit noch nicht alle Vorteile von Materialien, die für EVs geeignet sind. Wir denken, dass der Zeitpunkt unseres Markteintritts sehr gut ist, da sich die OEMs noch in der Forschungs- und Beschaffungsphase für neue Materialien befinden. Mit unseren umweltfreundlichen Materialien und unserer Systemtechnologie für EVs hoffen wir, einen Beitrag zur Entwicklung der nächsten Fahrzeuggeneration zu leisten.
Dazu kommt: Die Automobilindustrie ist nun mit strengeren CO2-Emissionsvorschriften der EU konfrontiert – inklusive der damit verbundenen Bußgelder. Die Industrie kämpft nach wie vor damit, die Karosserie leichter zu machen, was ein Hindernis für kohlenstoffneutrale Antriebe darstellt. Dies ist eine große Herausforderung und erfordert das Wissen und die Zusammenarbeit der Materialhersteller. Für uns ist es eine gute Gelegenheit, unsere Produkte vorzustellen.
Unsere Materialien werden häufig in Komponenten wie EV-Antriebssträngen, Reifen und Sitzen verwendet. Darüber hinaus bieten wir auch Lösungen für einen komfortablen und sicheren Innenraum, wie Soundsysteme, Geräuschunterdrückung, Alkoholsensoren und Materialien für Batterien. Letztere reduzieren nicht nur Gewicht und Größe des Fahrzeugs, sondern verkürzen auch die Ladezeit und machen die Batterie sicherer. Darüber hinaus unterstützen unsere nachhaltigen Materialien die Entwicklung von EVs mit automatisierter Fahrtechnik und digitaler Konnektivität.
J-BIG: Die Automobilindustrie ist hauptsächlich im Süden Deutschlands angesiedelt. Planen Sie, in Zukunft auch in Gebieten wie München aktiv zu werden?
Hideki Tsutsumi: Natürlich wollen wir auf deutsche OEMs zugehen, aber nicht nur auf einen bestimmten OEM. Wenn unser Büro in München wäre, wären wir natürlich näher an Firmen wie BMW, aber weiter weg von anderen Unternehmen. In Nordrhein-Westfalen, dessen Hauptstadt Düsseldorf ist, gibt es auch viele Niederlassungen, Tier-1- und Tier-2-Unternehmen. Hinzu kommt, dass alle OEMs nur eine Flugstunde von hier entfernt sind, was sehr praktisch ist.
Düsseldorf ist Heimat für eine der größten japanischen Communities in Europa. Zum Zeitpunkt unserer Expansion waren wir neu in Deutschland und mussten unser Geschäft schnell aufbauen. Düsseldorf war für uns der perfekte Standort: Hier wird einfaches Englisch gesprochen und japanisches Essen und japanische Kultur sind tief verwurzelt. Es ist wie Japan für Auswanderer.
„Europa spielt eine führende Rolle dabei, die Richtung für die Zukunft vorzugeben.“
J-BIG: Welche Rolle spielt die deutsche Niederlassung in der globalen Strategie von Asahi Kasei?
Hideki Tsutsumi: Wir stellen sicher, dass das Headquarter die europäische Perspektive berücksichtigt. Speziell bei Geschäftsfragen rund um das Thema Nachhaltigkeit stehen wir an vorderster Front und erstatten Bericht. Wir sammeln sorgfältig Informationen und haben ein wachsames Auge auf soziale und wirtschaftliche Entwicklungen. Unsere Forschungs- und Entwicklungsabteilung ist gegenwärtig hauptsächlich in Japan angesiedelt, aber wir können die Entwicklung neuer Produkte unterstützen, indem wir die Richtung für den europäischen Markt vorgeben.
Historisch gesehen waren die europäischen OEMs Pioniere in der Automobilindustrie. Europa nahm als erstes die Herausforderung an, neue Materialien und Systeme zu entwickeln, gefolgt von den USA und dann von Japan, Korea, China und anderen asiatischen Ländern. Der gleiche Trend ist auch heute noch zu beobachten. Natürlich fühlen sich einige europäische Unternehmen vom EV-Giganten Tesla bedroht. Aber inzwischen hat das Europäische Parlament die OEMs dazu aufgefordert, ihre CO2-Emissionen ab 2025 deutlich zu reduzieren, um Kohlenstoffneutralität zu erreichen. Europa spielt eine führende Rolle dabei, die Richtung für die Zukunft vorzugeben. Der private und der öffentliche Sektor arbeiten zusammen, um eine nachhaltige Gesellschaft zu erreichen. Mit der Rückkehr zum Pariser Abkommen unter Präsident Biden haben auch die Vereinigten Staaten einen großen Schritt in diese Richtung gemacht, aber bisher agierten sie bei Umweltthemen eher zurückhaltend.
J-BIG: Wie arbeiten Ihre Zentrale in Japan und die Europaniederlassung in Deutschland zusammen? Was hat sich durch die Corona-Krise geändert?
Hideki Tsutsumi: Ehrlich gesagt, entsenden wir im Moment nur Expatriates von Japan nach Deutschland. Wir denken aber darüber nach, in Zukunft auch deutsche Mitarbeiter nach Japan zu entsenden, um Vielfalt am Arbeitsplatz zu fördern. Ich bin zuversichtlich, dass dieser Tag nicht mehr weit entfernt ist.
Vor der Corona-Krise hatten wir mehrere Initiativen, um die Beziehungen zwischen Expats und einheimischen Mitarbeitern zu stärken, zum Beispiel interkulturelle Trainingsprogramme. Besser als jede Maßnahme war es aber, gemeinsam auf Messen auszustellen. Man traf sich auch zu gemeinsamen Abendessen nach der Arbeit und zu von der Firma gesponserten Veranstaltungen. Als das Büro noch klein war, war die Kommunikation sehr eng. Heutzutage ist das nicht mehr so einfach. Dennoch sollten Japaner auch in dieser schwierigen Situation mit der Kultur Deutschlands und anderer europäischer Länder in Berührung kommen. Und umgekehrt ist es auch für die hiesigen Mitarbeiter wichtig, das japanische System kennenzulernen.
Auch für Asahi Kasei wird Diversität in diesen Tagen sehr wichtig. Nicht nur die japanischen Expatriates, sondern auch die einheimischen Mitarbeiter müssen sich verantwortlich fühlen und sich fragen: „Was ist das Beste für Asahi Kasei Europa in 10 Jahren?“. Ich möchte ein Umfeld schaffen, in dem japanische und lokale Mitarbeiter über verschiedene Kulturen und die internationale Gesellschaft voneinander lernen können.
J-BIG: Was gefällt Ihnen persönlich an Deutschland?
Hideki Tsutsumi: Eines der attraktivsten Dinge an Deutschland ist für mich die Integration der Natur in die Stadt. In Japan gibt es oft eine klare Trennung zwischen Bebauung und Parkanlagen, in Deutschland dagegen ist die Natur ganz nah dran. Ein weiteres Detail des Alltags, das ich sehr schätze, ist das Pfandsystem für Plastikflaschen. Außerdem kommt man in Düsseldorf und anderen Großstädten in Deutschland ohne Probleme zurecht, wenn man Englisch spricht, auch wenn das eigene Deutsch zu wünschen übriglässt. In Japan ist das nicht so einfach. Ich finde, die Japaner müssen ihre Angst vor der englischen Sprache verlieren, denn wenn man Englisch lernt, kann man Informationen aus der ganzen Welt beziehen, aus ihnen lernen und seinen eigenen Kurs ändern. Die Olympischen Spiele in Tokyo sollten eigentlich eine große Chance für den internationalen Austausch sein.
J-BIG: Haben Sie abschließend noch einen Rat für japanische Unternehmen, die nach Deutschland expandieren wollen?
Hideki Tsutsumi: Ich denke, es gibt zwei wichtige Punkte, die japanische Unternehmen beim Schritt nach Deutschland beachten sollten: Erstens ist es entscheidend, ein einzigartiges Produkt oder eine einzigartige Technologie zu haben, um in Deutschland zu überleben. Und zweitens ist es wichtig, in Umweltfragen proaktiv zu sein. Die deutsche Gesellschaft ist sehr streng, was nicht-nachhaltige Geschäftspraktiken angeht, und es ist schwierig, akzeptiert zu werden, wenn man sich nicht daran hält. Und natürlich ist es immer besser, Deutsch zu sprechen – wobei ich glaube, dass man hier auch vertrauensvolle Beziehungen zu Menschen aufzubauen kann, wenn man nur Englisch spricht.
Natürlich hat kein Land ein perfektes System. Die Japaner sind vielleicht gut im Zusammenspiel einzelner Technologien und Bereiche, in Deutschland hingegen ist jede Einzel-Technologie sehr weit fortgeschritten. Der Schlüssel ist, es meiner Meinung nach, das Beste aus beiden Welten zusammenzubringen.